Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
hinunter wie ein Kapitän, der die Brücke seines sinkenden Schiffs verlässt und sich in seine Kajüte zurückzieht, während die anderen die Rettungsboote zu Wasser lassen.
»Das war ein absolut beschissenes Fiasko.«
»Es hätte auch schlimmer kommen können«, murmele ich, immer noch wie betäubt von Fowlers boshaften Attacken.
»Inwiefern hätte es noch schlimmer kommen können?«
»Zumindest haben wir die Leute zur Vorsicht ermahnt.«
Im Einsatzraum klingeln Telefone. Ich habe keine Ahnung, was für Anrufe eingehen und wie die ernsthaften Informationen herausgefiltert werden.
Viele Detectives meiden meinen Blick. Die Nachricht meiner öffentlichen Demütigung hat sich bereits zu ihnen herumgesprochen. Die meisten haben schon ihre Feierabendgesichter aufgesetzt und schlagen die Zeit tot, bis sie endlich ihre Mäntel anziehen und gehen können.
DI Cray schließt die Tür zu ihrem Büro. Ich setze mich vor ihren Schreibtisch. Ohne das »Rauchen verboten«-Schild zu beachten, zündet sie sich eine Zigarette an und öffnet das Fenster einen Spalt. Mit der Fernbedienung schaltet sie einen kleinen Fernseher ein, der in der Ecke eines Aktenschranks steht. Sie sucht einen Nachrichtensender und stellt den Ton stumm.
Ich weiß, was sie vorhat. Sie wird sich bestrafen, indem sie sich eine Aufzeichnung der Pressekonferenz ansieht.
»Wollen Sie einen Drink?«
»Nein danke.«
Sie greift in einen Schirmständer und zieht eine Flasche Scotch
heraus. Ein Kaffeebecher muss als Glas herhalten. Ich beobachte, wie sie sich einschenkt und die Flasche wieder in ihrem Versteck verschwinden lässt.
»Ich habe eine ethische Frage an Sie, Professor«, sagt sie und spült den Whisky herunter wie Mundwasser. »Ein Boulevard-Reporter und ein Assistant Chief Constable sind in einem brennenden Fahrzeug eingeklemmt, und Sie können nur einen von beiden retten. Was tun Sie?«
»Ich weiß nicht.«
»Es gibt nur ein wahres Dilemma: Gehen Sie essen oder ins Kino?«
Sie lacht nicht. Sie meint es ernst.
Auf ihrem Schreibtisch liegt eine mit einer gelben Haftnotiz versehene Mappe mit Ausdrucken aus dem Police National Computer. Die Datenbank ist auf ähnliche Verbrechen durchsucht worden. Sie reicht mir das Deckblatt.
In Bristol haben zwei Dealer eine Prostituierte gefoltert, die sie als Polizeispitzel verdächtigten. Sie nagelten sie an einen Baum und vergewaltigten sie mit einer Flasche.
Ein Schauermann aus Felixstowe erwischte seine Frau bei seiner Heimkehr mit dem Nachbarn im Bett. Er fesselte den Nachbarn an einen Stuhl und quälte ihn mit dem Lockenstab seiner Frau.
Zwei deutsche Geschäftspartner zerstritten sich über die Aufteilung von Gewinnen, einer von ihnen floh nach Manchester. Dort wurde er tot in einem Hotelzimmer aufgefunden, die Arme über eine Tischplatte gestreckt, die Finger abgetrennt.
»Das ist alles«, sagt sie und zündet sich an der Kippe der alten eine neue Zigarette an. »Keine Handys, keine Töchter, keine Drohungen. Wir haben einen Scheißdreck.«
Zum ersten Mal fallen mir die Ringe unter ihren Augen und die Falten in ihrem Gesicht auf, und ich frage mich, wie viel sie in den letzten zehn Tagen geschlafen hat.
»Sie suchen nach der offensichtlichen Antwort«, sage ich.
»Was soll das heißen?«
»Wenn Sie auf der Straße einen Mann in einem weißen Kittel mit einem Stethoskop um den Hals sehen, denken Sie sofort, er ist Arzt. Und ausgehend von dieser Annahme stellen Sie weitergehende Vermutungen an. Wahrscheinlich hat er ein schnelles Auto, ein schickes Haus und eine Vorzeige-Ehefrau; er macht gerne Urlaub in Frankreich; sie zieht Italien vor. Sie gehen jedes Jahr Ski laufen.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie sich irren? Eins zu zwanzig oder eins zu fünfzig? Möglicherweise ist er kein Arzt. Er könnte ein Lebensmittelkontrolleur oder Laborassistent sein, der zufällig ein Stethoskop aufgehoben hat, das jemand hat fallen lassen. Vielleicht ist er unterwegs zu einem Kostümfest. Wir vermuten Dinge und liegen damit auch meistens richtig, aber manchmal eben nicht. Dann müssen wir quer denken, außerhalb der Kästchen. Die naheliegende Schlussfolgerung ist normalerweise die richtige, aber nicht immer. Und nicht in diesem Fall.«
Veronica Cray sieht mich mit einem vagen Lächeln unverwandt an und wartet.
»Ich glaube nicht, dass die Morde etwas mit der Hochzeitsplanungsagentur zu tun haben«, sage ich. »Ich denke, Sie sollten einen anderen Ansatz
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