Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Metalldosen: Mehl, Reis, Pasta. In einer Schublade ist Besteck, in einer anderen lagern gefaltete Geschirrtücher, in einer dritten ein Sammelsurium aus Haarklammern, Bleistiften, Gummibändern und Batterien.
Es ist ein nettes Haus. Geschmackvoll. Ein Flur verbindet die vorderen und die hinteren Räume. Links liegt das Wohnzimmer.
Ein blau gepolstertes Sofa mit großen Kissen steht vor einem Couchtisch und einem Fernseher auf einem Podest. Auf dem Kaminsims reihen sich kleine Metalltiere neben einem Hochzeitsfoto, einem selbst gebastelten Kunstwerk, von Hand gedrehten Kerzen, einem Porzellanpferd und einem Spiegel mit muschelbesetztem Rahmen. Mein Blick fällt auf mein Spiegelbild. Ich sehe aus wie ein langbeiniges schwarzes Insekt, ein Jäger der Nacht auf Raubzug.
Sie schlafen im ersten Stock, und es zieht mich zu ihnen. Auf jeder Treppenstufe bleibe ich stehen und lausche auf ein Knarren. Vom oberen Flur gehen vier Türen ab. Eine muss ins Bad führen, die anderen zu den Schlafzimmern.
Ich höre ein Summen wie von einem hinter Glas eingesperrten Insekt. Ein MP3-Player. Schneeflöckchen ist mit den Stöpseln im Ohr eingeschlafen. Ihre Zimmertür ist offen. Das Bett steht unter dem Fenster. Der Mond wirft ein kleines helles Rechteck auf den Boden. Ich knie mich neben ihr Bett und lausche ihrem leisen süßen Atem. Sie sieht aus wie ihre Mutter, sie hat das gleiche ovale Gesicht und die dunklen Haare.
Ich beuge mich ganz dicht über sie und atme im Gleichklang mit ihr. Die Stofftiere sind in eine Kiste in der Ecke verbannt worden. Pu der Bär ist von Harry Potter und überbezahlten Fußballstars verdrängt worden.
Ich habe auch einmal in einem Haus wie diesem gewohnt. Meine Tochter hat in einem Zimmer am Ende des Flurs geschlafen.
Ich frage mich, was sie jetzt macht, ob sie an den Fingernägeln kaut oder auf der Seite schläft. Hat sie ihr Haar wachsen lassen, trägt sie es offen? Ich frage mich, ob sie intelligent ist, mutig und was sie von mir denkt.
Ich ziehe mich zurück, schließe leise die Tür und wende mich den anderen Zimmern zu. Ich lege mein Ohr an die Türen und horche, ob dahinter jemand schläft oder ob es still ist. Ich öffne eine weitere Tür zu einem leeren Zimmer. Das Doppelbett ist mit einer Patchwork-Überdecke zugedeckt, auf der ein paar Zierkissen verteilt sind. Ich schiebe meine Hand auf der Suche nach einem Nachthemd darunter, finde jedoch keins.
Ich lege die Hand auf den Messingknauf der Kleiderschranktür und spitze erneut die Ohren. Nichts. Ich wühle mich durch die Kleider und nehme ihre Witterung auf, den Geruch, auf den ich aus bin. Dazu ihr Deodorant und Parfüm. Künstliche Düfte. Während des Dschungeltrainings hat man uns beigebracht, nie Seife, Rasierschaum oder Deodorants zu benutzen. Künstliche Düfte können einen Soldaten verraten. Wenn man im Dschungel überleben will, muss man eins mit ihm werden, wie die Tiere.
Frauen riechen nicht, wie Frauen riechen sollten. Es kommt aus einer Flasche. Künstlich hergestellt. Deodorierend. Diese Frau hat hübsche Kleider, aber sie sind eigenartig uniform: knielange Röcke, dunkle Strumpfhosen und Strickjacken - wie eine Stewardess, aber nicht so glamourös. Ich werde es genießen, ihren Willen zu brechen.
Auf dem Boden des Kleiderschranks stehen Schuhkartons. Ich nehme die Decke ab. Slingpumps, zehenfreie Sandalen, Pumps, Ballerinas, Schuhe mit Keilabsätzen. Sie mag Stiefel. Sie hat vier Paare, zwei spitze mit Fick-mich-Absätzen. Weiches Leder, italienisch, teuer. Ich stecke meine Nase hinein und atme tief ein.
Ich setze mich an die Schminkkommode und gehe ihre Lippenstifte durch. Das leuchtende Zinnoberrot ist am besten; es passt perfekt zu ihrer Hautfarbe. Und die Malachitkette in der
Samtschatulle wird sehr hübsch aussehen auf ihrer nackten Haut.
Ich strecke mich auf dem Bett aus und starre an die Decke. Eine viereckige Luke in der Ecke führt auf den Speicher. Ich könnte mich dort verstecken und über sie wachen wie ein Engel. Ein Racheengel.
Ich höre Schritte auf dem Flur. Jemand ist aufgewacht. Eine Frau. Ich warte und frage mich, ob ich sie töten muss. Am anderen Ende des Flurs rauscht eine Toilettenspülung. Rohre rumpeln leise, als der Wasserkasten wieder vollläuft. Wer immer es war, sie ist mit ihrem Mundgeruch und ihren verquollenen Augen zurück ins Bett gegangen. Sie wird mich nicht finden.
Ich erhebe mich vom Bett, schließe die Kleiderschranktür und vergewissere mich, dass alles wieder an seinem Platz
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