Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
das Fax der Fotografie aus der Tasche und breite es auf dem Tisch aus.
»Es ist eine Straftat, falsche Informationen zu einer polizeilichen Ermittlung zu geben«, sagt Ruiz. »Das gilt übrigens auch für Ermittlungen im Ausland.«
Bryans Gesicht läuft rot an. Ruiz weicht keinen Zentimeter zurück. Ich glaube, er versteht das Konzept von Nachgeben nicht, jedenfalls nicht, wenn es um vermisste Kinder geht. Davon hat es in seiner Laufbahn zu viele gegeben; Kinder, die er nicht retten konnte.
»Sie haben ein falsches Foto geschickt, weil Ihre Tochter noch lebt. Sie haben ihren Tod vorgetäuscht.«
Bryan Chambers geht leicht in Rücklage, bevor er zuschlägt, was ihn verrät. Ruiz weicht ihm aus und gibt ihm wie einem unartigen Schuljungen einen Klaps auf den Hinterkopf.
Das bringt Chambers erst richtig in Wallung. Brüllend rammt er Ruiz seinen Kopf in den Bauch, schlingt die Arme um ihn und drängt ihn bis an die Wand. Der Zusammenprall scheint das ganze Haus zu erschüttern. Die aufgestellten Bilderrahmen purzeln wie Dominosteine.
»Aufhören! Aufhören!«, kreischt Darcy. Sie steht mit glänzenden Augen und geballten Fäusten an der Tür. Plötzlich wirkt alles seltsam verlangsamt. Sogar das Ticken der alten Standuhr klingt wie ein träge tropfender Wasserhahn. Bryan Chambers hält sich den Kopf. Er hat eine Platzwunde über dem linken Auge. Sie ist nicht tief, blutet jedoch stark. Ruiz hält sich die Rippen.
Ich bücke mich und fange an, die Fotos aufzuheben. In einem Rahmen ist das Glas gesplittert. Es ist ein Schnappschuss von einer Geburtstagsfeier. Die Kerzen spiegeln sich leuchtend in Chloes Augen wider, während sie sich, die Wangen gebläht wie ein Posaunist, über den Kuchen beugt. Ich frage mich, was sie sich gewünscht hat.
Es ist kein ungewöhnliches Foto, aber irgendetwas daran kommt mir verkehrt vor. Ruiz hat ein Gedächtnis wie eine Lebendfalle, die Fakten verschließt und behält. Und zwar nicht irgendwelche nutzlosen Banalitäten wie Popsongs, Grand-National-Sieger und alle Rechtsverteidiger, die seit dem Krieg für Manchester United gespielt haben, sondern wichtige Details. Daten, Adressen, Beschreibungen.
»Wann wurde Chloe geboren?«, frage ich ihn.
»Am 27. Juli 2000.«
Bryan Chambers ist schlagartig ernüchtert. Claudia ist zu Darcy gegangen und versucht, sie zu trösten.
»Dann erklären Sie mir«, sage ich und zeige auf das Foto, »wie Ihre Enkelin sieben Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen auspusten kann, wenn sie zwei Wochen vor ihrem siebten Geburtstag gestorben ist?«
Ein in den Boden eingelassener Alarmknopf hat Skipper auf den Plan gerufen. Er trägt ein Schrotgewehr, diesmal allerdings nicht in der Armbeuge. Er hat es in Brusthöhe angelegt und schwenkt es hin und her.
»Sorgen Sie dafür, dass diese Leute mein Haus verlassen«, brüllt Bryan Chambers, der sich immer noch den Kopf hält. Blut ist über seine Augenbraue auf seine Wange geflossen.
»Wie viele Leute werden noch leiden müssen, wenn wir ihn jetzt nicht aufhalten?«, sage ich flehentlich.
Es spielt keine Rolle. Skipper schwenkt sein Gewehr. Darcy stellt sich vor ihn. Ich weiß nicht, woher sie den Mut nimmt.
»Schon gut« erkläre ich ihr. »Wir gehen.«
»Aber was ist mit Charlie?«
»Hier kommen wir nicht weiter.«
Nichts wird sich ändern. Die Verkehrtheit der Situation, die unmittelbar drohende Katastrophe, all das geht an den Chambers’ vorbei, die offenbar in einer Dauerdämmerung von Angst und Verleugnung gefangen sind.
Zum zweiten Mal werde ich aus dem Haus eskortiert. Ruiz geht voran, gefolgt von Darcy. Auf dem Weg durch die Halle sehe ich aus den Augenwinkeln etwas Weißes am Treppengeländer aufleuchten. Ein barfüßiges Kind in einem weißen Nachthemd, das zwischen den gedrechselten Holzstäben hindurchspäht. Entrückt und fast wie nicht von dieser Welt steht es mit einer Puppe in der Hand da und sieht zu, wie wir gehen.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen und starre zur Treppe. Die anderen drehen sich ebenfalls um.
»Du solltest schlafen«, sagt Claudia.
»Ich bin aufgewacht. Ich hab einen Knall gehört.«
»Das war nichts. Geh wieder ins Bett.«
Sie reibt sich die Augen. »Deckst du mich zu?«
Ich spüre den Pulsschlag meines Blutes unter der Haut. Bryan Chambers stellt sich mir in den Weg. Skipper hat das Gewehr im Anschlag. Von der Treppe hört man Schritte. Eine aufgeregt wirkende Frau erscheint und hebt das Kind hoch.
»Helen?«
Sie reagiert nicht.
»Ich weiß, wer Sie
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