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Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter

Titel: Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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ihre Tante.
    »Hab ich nicht.«
    »Du solltest es nicht dauernd mit dir herumschleppen.«

    »Es ist mein Kaninchen.«
    Das Tier wird auf dem Küchentisch abgesetzt. Alice will sich umziehen. Es ist mir nicht gelungen, ihr ein Gefühl für die Dringlichkeit der Situation zu vermitteln, und sie ist des Redens überdrüssig. Sie starrt mich vorwurfsvoll an, als wäre das Ganze irgendwie meine Schuld - der Tod ihrer Mutter, der Fleck auf ihrer Jeans, das allgemeine Durcheinander in ihrem Leben.
    Jeder geht anders mit Trauer um, und Alice empfindet einen Schmerz, den ich mir nicht einmal vorstellen kann. Ich habe mehr als zwanzig Jahre mit dem Studium menschlichen Verhaltens zugebracht, habe Patienten behandelt und mir ihre Zweifel und Ängste angehört, aber keine Erfahrung und kein psychologisches Fachwissen der Welt werden es mir je möglich machen nachzuempfinden, was ein anderer Mensch fühlt. Ich kann dieselbe Tragödie erleben oder dieselbe Katastrophe überleben, aber meine Gefühle werden wie die der anderen immer einzigartig und auf ewig privat sein.
     
    Es ist kalt, aber nicht eisig. Kahle Bäume, um die Stromleitungen herum brutal zurückgeschnitten, zeichnen sich blass vor einem lavendelfarbenen Himmel ab. Ruiz schiebt die Hände tief in die Taschen und entfernt sich von dem Haus. Er humpelt leicht auf dem rechten Bein, das sich nie ganz von einer alten Schussverletzung erholt hat.
    Ich schließe zu ihm auf und bemühe mich, Schritt zu halten. Jemand hat Darcy nach dem Tod ihrer Mutter Ballettschuhe geschickt - ohne beigelegten Brief oder Absender. Wahrscheinlich hat dieselbe Person auch das Kaninchen für Alice dagelassen. Sind das Visitenkarten oder Kondolenzgaben?
    »Hast du schon einen Ansatzpunkt, was den Typen betrifft?«, fragt Ruiz.
    »Noch nicht.«
    »Ich wette zwanzig Pfund, dass es ein Exfreund oder Liebhaber ist.«

    »Von beiden Frauen?«
    »Vielleicht gibt er einer die Schuld dafür, dass seine Beziehung zu der anderen zerbrochen ist.«
    »Und worauf gründet sich diese Theorie?«
    »Bauchgefühl.«
    »Und du bist sicher, dass es keine Blähung ist?«
    »Wir könnten wetten.«
    »Ich wette nicht.«
    Wir sind beim Wagen angekommen. Ruiz lehnt sich an die Tür. »Mal angenommen, du hast recht, und er zielt auf die Töchter ab - wie macht er es? Darcy war in der Schule. Alice ist auf ihrem Pferd geritten. Sie waren nicht in Gefahr.«
    Ich habe keine einfache Erklärung. Dazu braucht es eine andere Ebene der Vorstellungskraft, einen Salto in die Verzweiflung.
    »Wie beweist er eine solche Lüge?«, fragt Ruiz.
    »Er muss Dinge über die Töchter wissen - nicht bloß ihren Namen und ihr Alter, sondern intime Details. Er könnte in den Wohnungen gewesen sein, sie unter einem Vorwand getroffen oder beobachtet haben.«
    »Eine Mutter würde doch garantiert die Schule oder den Reitstall anrufen. Man glaubt nicht einfach jemandem, der behauptet, die eigene Tochter in seiner Gewalt zu haben.«
    »Da irrst du dich. Du legst niemals auf. Ja, du willst es überprüfen. Du willst die Polizei anrufen. Du willst um Hilfe schreien. Aber was du auf keinen Fall tun wirst, ist auflegen. Du kannst nicht riskieren, dass er recht hat. Du willst es nicht riskieren.«
    »Und was machst du stattdessen?«
    »Du redest immer weiter. Du tust genau das, was er sagt. Du bleibst am Telefon und fragst immer wieder nach einem Beweis, während du gleichzeitig unentwegt darum betest, dass du dich irrst.«
    Ruiz wiegt sich auf seinen Absätzen vor und zurück und betrachtet mich in einer Art angewidertem Staunen.

    Passanten gehen auf dem Bürgersteig an uns vorbei und mustern uns missbilligend oder neugierig.
    »Und das ist deine Theorie?«
    »Sie passt zu den bekannten Details.«
    Ich habe erwartet, dass er mir widerspricht. Ich dachte, es würde die Einbildungskraft überfordern, sich vorzustellen, dass jemand auf der Grundlage einer Annahme oder aus rationaler Angst von einer Brücke springt oder sich an einen Baum kettet.
    Stattdessen räuspert er sich.
    »Ich kannte einmal einen Mann in Nordirland, der mit einem Laster voll Sprengstoff in eine Armee-Kaserne gerast ist, weil die IRA seine Frau und zwei Kinder als Geiseln hielt. Seiner jüngsten Tochter hatten sie vor seinen Augen die Kehle durchgeschnitten.«
    »Was ist passiert?«
    »Bei der Explosion kamen zwölf Soldaten ums Leben … und er selbst.«
    »Und was geschah mit seiner Familie?«
    »Die IRA ließ sie laufen.«
    Wir verstummen beide. Manche Gespräche brauchen

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