Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
dich mit jemandem reden hören.«
»Mit mir selbst.«
Sie versucht, unter meinem Arm hindurch auf meinen Schreibtisch zu spähen. »Warum hast du abgeschlossen?«
»Es gibt Dinge, die die Mädchen nicht sehen sollen.«
Ihre Augen werden schmal. »Du tust es wieder, stimmt’s? Du bringst dieses Gift in unser Haus.«
»Nur für heute Abend.«
Sie schüttelt den Kopf. Ihre Stimme klingt flach. »Ich hasse Geheimnisse. Ich weiß, dass die meisten Menschen welche haben, aber ich hasse sie.«
Sie dreht sich um. Ich sehe ihre nackten Füße unter dem Bademantel den Flur hinunter verschwinden. Was ist mit deinen Geheimnissen ?, will ich sagen, aber sie ist schon fort, und die Frage bleibt unausgesprochen. Ich schließe die Tür und drehe den Schlüssel im Schloss.
Der zweite Karton enthält Fotos von den Tatorten, beginnend mit Gesamtaufnahmen aus der Distanz bis hin zu Detailfotos von einzelnen Körperteilen. Nach der Hälfte der Alben kann ich nicht mehr. Ich stehe auf, vergewissere mich, dass die Tür abgeschlossen ist, trete ans Fenster und starre durch die kahlen Äste der Kirschbäume auf den Friedhof hinter der Kirche.
Mir bleiben noch zwei Stunden, bis der Kurier kommt. Ich nehme einen Notizblock und lege jeweils ein Foto von Christine Wheeler und Sylvia Furness nebeneinander auf den Schreibtisch. Keine Nacktfotos, sondern normale Porträts. Darunter stelle ich mit Fotos von beiden Tatorten eine krassere Collage zusammen.
Wegen der Kapuze über ihrem Kopf springen die Bilder von Sylvia einen eher an. Ihre Füße berühren nur mit Mühe den Boden. Sie musste auf Zehenspitzen stehen. Nach wenigen Minuten müssen ihre Beine höllisch geschmerzt haben. Mit fortschreitender Erschöpfung sackten ihre Fersen ab, sodass ihr mit Handschellen gefesseltes Handgelenk das ganze Gewicht tragen musste. Weitere Schmerzen.
Die Kapuze, die Blöße und eine Stressposition, das riecht nach Folter und Exekution. Je länger ich die Bilder anstarre, desto vertrauter erscheinen sie mir. Dies sind Bilder von einem anderen Schauplatz - Bilder aus dem Krieg.
Das Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak wurde zum Synonym für Folter und körperliche Misshandlung. Bilder von nackten, angeleinten Gefangenen mit Kapuzen über dem Kopf, verhöhnt und gedemütigt, gingen um die ganze Welt. Einige mussten in Stresspositionen verharren, auf Zehenspitzen und mit ausgestreckten oder schmerzhaft nach hinten gebundenen Armen stehen. Schlafentzug, Erniedrigung, extreme Hitze oder Kälte, Hunger und Durst, das sind die Kennzeichen von Verhören unter Folter.
Es dauerte sechs Stunden, Christine Wheelers Willen zu brechen. Wie viel Zeit hatte er mit Sylvia Furness? Sie wurde seit dem Montagnachmittag vermisst und am Mittwochmorgen tot aufgefunden - ein Zeitfenster von sechsunddreißig Stunden, von denen sie zwei Drittel tot war. Normalerweise dauert es Tage, Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und ihre Verteidigungsmechanismen zu knacken. Wer immer das war, hat es geschafft, Sylvia in zwölf Stunden zu brechen. Das ist unglaublich.
Es war keine Blutgier. Er hat nicht auf sie eingetreten oder -geprügelt. Er hat sich diese Frauen nicht durch Misshandlung unterworfen. An ihren Leichen gab es keine Spuren, die auf Schläge oder irgendeine andere Form physischer Gewalt hindeuteten. Er hat Worte benutzt. Wo lernt ein Mensch diese spezielle Fähigkeit? Dafür ist Training nötig. Ausbildung.
Ich ziehe einen senkrechten Strich auf einer Seite meines Notizbuches, überschreibe die linke Hälfte mit Was ich weiß und beginne, verschiedene Punkte zu notieren.
Es handelt sich um vorsätzliche, entspannte, ja, beinahe euphorische Verbrechen, die Ausdruck einer verderbten Lust sind. Er hat sorgfältig ausgewählt, was seine Opfer an- beziehungsweise ausgezogen haben. Er kannte den Inhalt ihrer Kleiderschränke.
Er kannte ihr Make-up, wusste, wann sie allein zu Hause waren. Und die Schuhe waren ihm wichtig.
Ich fange wieder an, laut zu denken. »Warum diese Frauen? Was haben sie dir getan? Haben sie dich ignoriert? Dich ausgelacht? Dich verlassen?
Sylvia Furness hat sich bestimmt nicht leicht gefügt. Sie war kein Unschuldslamm. Du musst sie zermürbt und zu diesem Baum geschickt haben, deine Stimme immer in ihrem Ohr. Aber was hast du gesagt? Man muss sehr versiert sein, um so viel Kontrolle über einen anderen Menschen auszuüben, um den Willen einer Frau zu brechen. Du hast das nicht zum ersten Mal gemacht.
Ich bin Typen wie dir begegnet. Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher