Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
gesehen, wozu sexuelle Sadisten fähig sind. Diese Frauen haben jemanden oder etwas verkörpert, das du verachtest. Sie waren sowohl symbolische als auch sorgfältig ausgewählte Ziele - deshalb sind sie sich auch so unähnlich. Sie waren Schauspielerinnen, gecastet in deinem Stück, weil sie über ein bestimmtes Aussehen, das richtige Alter oder einen anderen Faktor verfügten.
Was sind die Bestandteile deiner Fantasie? Ein Faktor ist die öffentliche Demütigung. Du wolltest, dass man sie findet. Du hast diese Frauen gezwungen, nackt durch die Gegend zu paradieren. Sylvias Leiche war aufgehängt wie ein Stück Fleisch, Christine hatte das Wort ›Hure‹ auf ihren Bauch geschmiert.
Das erste Verbrechen ergab keinen Sinn. Es war zu öffentlich, zu entblößt. Warum hast du nicht einen privateren Ort gewählt, ein leeres Haus oder einen abgelegenen Bauernhof? Du wolltest, dass Christine gesehen wird. Es war ein Element deiner abnormen Inszenierung.
Du hast es getan, weil du Befriedigung daraus ziehst. Vielleicht war das nicht dein Ausgangsmotiv, aber es ist zum entscheidenden Antrieb geworden. Irgendwann hat sich in deiner Fantasie sexuelles Begehren mit Wut und dem Bedürfnis vermischt, andere zu beherrschen. Du hast gelernt, Schmerz und Folter zu erotisieren. Du hast darüber fantasiert - in deinen
Träumen Frauen genommen, gedemütigt, bestraft und zerbrochen. Erniedrigt. Entwertet. Zerstört.
Du bist pedantisch. Du machst dir Notizen, findest möglichst viel über deine Opfer heraus, indem du sie und ihre Häuser beobachtest. Du weißt, wann sie morgens zur Arbeit gehen, wann sie nach Hause kommen und abends das Licht ausmachen.
Ich kenne die genauen Details deiner Planung nicht, deshalb weiß ich nicht, wie eng du dieser Strategie gefolgt bist, aber du warst bereit, Risiken einzugehen. Was, wenn man Christine Wheeler auf der Brücke gerettet oder Sylvia Furness entdeckt hätte, bevor die Kälte ihr Herz stillstehen ließ, sie hätten dich identifizieren können.
Das ergibt keinen Sinn … es sei denn … es sei denn … sie haben dein Gesicht nie gesehen! Du hast in ihr Ohr geflüstert, ihnen gesagt, was sie tun sollen. Und sie haben gehorcht, aber sie haben dein Gesicht nicht gesehen.«
Ich schiebe das Notizbuch beiseite, lehne mich zurück und schließe die Augen, ausgelaugt, müde und zitternd.
Es ist spät. Im Haus ist es still. Hinter dem matten Glas des Lampenschirms an der Decke sehe ich die Motten, die darin verendet sind, und eine Glühbirne, eine zerbrechliche Glashülle mit einem glühenden Faden. Menschen benutzen Glühbirnen häufig, um Ideen zu symbolisieren. Ich nicht. Meine Ideen nehmen Gestalt an in Bleistiftstrichen auf einem weißen Blatt, weiche, abstrakte Linien, die langsam bestimmter werden, Licht, Schatten und Klarheit erlangen.
Ich habe den Mann, der Christine Wheeler und Sylvia Furness getötet hat, nie getroffen, aber ich habe plötzlich das Gefühl, als sei er meinem Geist, Fleisch und Blut entsprungen mit einer Stimme, die in meinen Ohren nachhallt. Er ist keine Einbildung mehr, kein Rätsel und nicht mehr nur ein Produkt meiner Fantasie. Ich habe gesehen, wie er denkt und fühlt.
30
Die Tür wird nur einen Spalt geöffnet. Sein mit grauen Stoppeln übersätes Gesicht blickt mir entgegen.
»Du kommst spät.«
»Ich hatte einen Job.«
»Heute ist Sonntag.«
»Ich muss trotzdem arbeiten.«
Er dreht sich um und schlurft mit an den Fersen flappenden, ausgelatschten Pantoffeln den Flur hinunter.
»Was für einen Job denn?«
»Ich musste ein paar Schlösser austauschen.«
»Hast du Geld dafür gekriegt?«
»Das war der Sinn der Sache.«
»Ich brauche ein bisschen Geld.«
»Was ist mit deiner Rente?«
»Aufgebraucht.«
»Wofür hast du sie ausgegeben?«
»Scheißchampagner und Kaviar.«
Er trägt eine an den Ellbogen fast durchgescheuerte Schlafanzugjacke, die er in eine hochgeschnittene Hose gestopft hat, die am Bauch spannt und im Schritt praktisch gar keinen Platz mehr hat. Vielleicht fällt einem der Schwanz ab, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat.
Wir sind im Wohnzimmer. Es riecht nach alten Fürzen und altem Bratfett. Die beiden einzigen Möbelstücke sind ein Sessel und ein Fernseher.
Ich zücke meine Brieftasche. Er versucht, über meine Hände hinwegzulinsen, um zu sehen, wie viel ich dabei habe. Ich gebe ihm vierzig Pfund.
Er zieht seine Hose hoch und lässt sich in den Sessel sinken, wo sein Hintern die von ihm selbst eingesessene Kuhle
Weitere Kostenlose Bücher