Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
habe ich ihn an der Angel. Es ist mehr als Neugier. Es ist heißes männliches Begehren. Es ist wie eine Sexfantasie, die ein Junge sich erträumt, bevor er eine Frau gekostet hat. Geschwindigkeit. Eine Maschine. Liebe auf den ersten Blick.
»Wie viel hat er gekostet?«, flüstert er.
»Hat deine Mum dir nicht beigebracht, dass es unhöflich ist, solche Fragen zu stellen?«
»Ja, schon, aber sie fährt einen Ford Astra.«
Ich lächle. »Wohl eher kein Auto-Freak, was?«
»Nein.«
»Wann kriegst du deinen Führerschein?«
»In neun Monaten.«
»Und bekommst du dann auch ein Auto?«
»Ich glaube nicht, dass Mum sich das leisten kann. Vielleicht könnte mein Vater mir helfen.«
Seine Finger schließen sich um den Schaltknüppel. Die andere Hand am Steuer, blickt er durch die Windschutzscheibe und malt sich aus, um die Kurven zu schießen.
»Wann geht dein Bus?«, frage ich.
Er sieht auf die Uhr. »Scheiße!«
»Keine Sorge. Ich fahr dich.«
»Echt?«
»Ja. Steig ein. Schnall dich an.«
35
Es ist schon nach neun. Ich liege im Bett und starre an die Decke. Von unten höre ich Schritte, Lachen und Kinderreime. Ich komme mir vor, als hätte ich meine Lieblingsseifenoper im Radio eingeschaltet und würde einer weiteren Episode im Leben der O’Loughlins zuhören.
Mit geputzten Zähnen, gewaschenem Gesicht und mit Medikamenten versorgt, stapfe ich nach unten. Aus dem Wohnzimmer dringt Gelächter. Ich lausche an der Tür. Julianne interviewt Kindermädchen. Die meisten Fragen scheint Emma zu stellen.
In der Küche isst Ruiz einen Toast und liest meine Zeitung.
»Morgen«, sage ich.
»Morgen.«
»Kriegst du im Pub nichts zu essen?«
»Dort ist einfach nicht die gleiche Atmosphäre wie hier.«
Ich gieße mir eine Tasse Kaffee ein und setze mich ihm gegenüber.
»Ich habe Helen Chambers’ Familie ausfindig gemacht. Sie lebt auf dem Daubeney Estate bei Westbury. Das sind knapp fünfzig Kilometer von hier. Ich habe angerufen, aber nur einen Anrufbeantworter erreicht. Helen Chambers steht weder im Wählerverzeichnis noch im Telefonbuch.«
Er spürt, dass ich nur mit halbem Ohr zuhöre.
»Was ist los?«
»Nichts.«
Er wendet sich wieder der Zeitung zu. Ich nippe an meinem Kaffee.
»Hast du je Albträume?«, frage ich. »Ich meine, du hast es
mit ziemlich hässlichen Sachen zu tun gehabt - Morde, Vergewaltigungen, vermisste Kinder. Kehren diese Erinnerungen nicht irgendwann zurück?«
»Nein.«
»Was ist mit Catherine McBride?« Sie war eine ehemalige Patientin von mir. So habe ich Ruiz kennengelernt. Ruiz hat in ihrem Mordfall ermittelt.
»Was ist mit ihr?«
»Sie erscheint noch immer manchmal in meinen Träumen. Und jetzt erscheint mir Christine Wheeler.«
Ruiz faltet die Zeitung wieder zusammen. »Spricht sie mit dir?«
»Nein, nichts in der Richtung.«
»Aber du siehst Tote?«
»So wie du es sagst, klingt es verrückt.«
Er gibt mir mit der Zeitung einen festen Klaps auf den Hinterkopf.
»Was sollte das?«
»Das war ein Weckruf.«
»Warum?«
»Du hast mir mal erklärt, dass ein Arzt einem Patienten nichts nützt, wenn er selbst an der Krankheit stirbt. Werd nicht weich in der Birne. Du sollst hier der Gesunde sein.«
Das Daubeney Estate liegt gut drei Kilometer nördlich von Westbury auf der Grenze zwischen Somerset und Wiltshire. Die sanft geschwungene Landschaft ist mit kleinen Bauernhöfen sowie mit Seen und Stauseen gesprenkelt, randvoll vom Regen der letzten Wochen.
Ruiz sitzt am Steuer seines Mercedes. Die Federung ist so weich, dass es sich anfühlt wie in einem Wasserbett auf Rädern.
»Was wissen wir über die Familie?«, frage ich.
»Bryan und Claudia Chambers. Er ist Besitzer einer Baufirma, die große Aufträge in der Golfregion ausführt. Bis das
Daubeney Estate in den 1980ern aufgeteilt und verkauft wurde, war es eines der größten Güter des Landes. Den Chambers’ gehören das Herrenhaus und viereinhalb Hektar Land.«
»Was ist mit Helen?«
»Sie ist Einzelkind und hat 1988 die Oldfield Girls School in Bath abgeschlossen - im selben Jahr wie Christine Wheeler und Sylvia Furness. Sie hat an der Bristol University Wirtschaftswissenschaft studiert und vor acht Jahren geheiratet. Seitdem lebt sie im Ausland.«
Er hebt den Zeigefinger vom Lenkrad. »Da ist es.«
Wir biegen in eine Einfahrt ein, die durch ein drei Meter hohes Eisentor zwischen zwei Steinsäulen gesichert ist. Ansonsten ist das Gelände von einer Betonmauer umgeben, aus deren Krone Glasscherben
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