Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
arbeitslose Schauspielerin am Ende bloß kellnern würde, und ich hatte einen Lehrer, Mr. Halliday, mein Englischlehrer, der meinte, ich sollte darüber nachdenken, selbst Lehrerin zu werden. Meine Eltern lachen sich bis heute kaputt.«
Sie blickt ängstlich zu Ruiz und wieder zu mir.
»Sie haben gesagt, Helen Chambers hätte Ihnen eine E-Mail geschickt, um das Wiedersehen zu organisieren.«
Sie nickt.
»Die E-Mail muss von jemand anderem stammen.«
»Warum?«
»Helen ist vor drei Monaten gestorben.«
Die Mappe gleitet aus ihren Händen, die Aufsätze segeln flatternd zu Boden. Fluchend bückt sie sich und versucht, sie mit zitternden Händen einzusammeln.
»Wie?«, fragt sie im Flüsterton.
»Sie ist ertrunken. Es war ein Fährunglück in Griechenland. Ihre Tochter war bei ihr. Wir haben heute Morgen mit ihren Eltern gesprochen.«
»Oh, die armen, armen Menschen … die arme Helen.«
Ich hocke neben ihr auf dem Boden, sammle die Blätter ein und packe sie wahllos gebündelt wieder in die Mappe. In Maureen hat sich eine Leere aufgetan, die in ihrem Herzschlag nachhallt. Sie ist unversehens an einem dunklen Ort und lauscht einem dumpfen monotonen Rhythmus in ihrem Kopf.
»Aber wenn Helen vor drei Monaten gestorben ist, wie konnte sie … ich meine … sie …«
»Die E-Mail muss jemand anderer geschrieben haben.«
»Wer?«
»Wir hatten gehofft, dass Sie das vielleicht wissen.«
Sie schüttelt bebend und mit feuchten Augen den Kopf, als würde sie ihre Umgebung plötzlich nicht mehr wiedererkennen und als wüsste sie nicht, wo sie als Nächstes sein muss.
»Es ist Mittagspause«, erkläre ich ihr.
»Oh, richtig.«
»Kann ich die E-Mail mal sehen?«
Sie nickt. »Kommen Sie mit ins Lehrerzimmer. Dort steht ein Computer.«
Wir folgen ihr den Flur hinunter und eine weitere Treppe hinauf. Durch die Fenster dringt Schwatzen und Lachen und füllt jeden noch so stillen Winkel.
Zwei Schülerinnen warten vor dem Lehrerzimmer. Sie wollen eine Verlängerung der Abgabefrist eines Referats. Maureen gibt ihnen bis Montag und schickt sie ihrer Wege.
Das Lehrerzimmer ist fast völlig leer bis auf das Fossil von einem Mann, der mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl sitzt. Ich denke, er schläft, bis ich die Ohrstöpsel bemerke. Er rührt sich nicht, als Maureen sich an den Computer setzt und sich mit Benutzernamen und Passwort einloggt. Sie öffnet den Eingangsordner und scrollt rückwärts die Eingangsdaten ab.
Helen Chambers’ Mail hat die Betreffzeile: Ratet mal, wer wieder in der Stadt ist? Sie wurde am 16. September mit Kopie an Christine Wheeler und Sylvia Furness gesendet.
Hi, Mädels, ich bin’s. Ich bin wieder im Lande und freue mich, euch alle wiederzusehen. Wie wär’s, wenn wir uns am nächsten Freitag im Garrick’s Head treffen? Schampus und Chips für alle - wie früher.
Ich kann nicht glauben, dass es schon acht Jahre her ist. Ich hoffe, ihr seid alle dicker und schlechter in Schuss als ich (ja, du auch, Sylvia ). Vielleicht lasse ich mir für den Anlass sogar die Beine enthaaren.
Wer nicht kommt, ist selber Schuld. Garrick’s Head am Freitag um 19.30 Uhr. Ich kann es kaum erwarten.
Alles Liebe.
Helen.
»Klingt es nach ihr?«, frage ich.
»Ja.«
»Kommt Ihnen irgendwas daran seltsam vor?«
Maureen schüttelt den Kopf. »Wir waren dauernd im Garrick’s Head. In unserem letzten Jahr in Oldfield hatte Helen als Einzige ein Auto. Sie hat uns immer alle nach Hause gefahren.«
Die Mail wurde über einen Web-Server versandt. Es ist leicht, ein Mail-Konto zu eröffnen und ein Passwort und einen Benutzernamen zu bekommen.
»Sie sagten, sie hätte Ihnen davor schon mal gemailt.«
Wieder sucht sie Helens Namen. Die Mail ist am 29. Mai eingegangen.
Liebe Mo , beginnt sie. Mo ist offenbar Maureens Spitzname.
Lange nicht gesehen … und auch nichts gehört. Tut mir leid, dass ich eine so faule Briefschreiberin bin, aber ich hatte meine Gründe. Die letzten paar Jahre waren ziemlich hart - mit einer Menge Veränderungen und Herausforderungen. Die große Neuigkeit ist, dass ich meinen Mann verlassen habe. Es ist eine lange traurige Geschichte, die
ich jetzt nicht ausbreiten will. Lass mich nur sagen, dass es für uns nicht funktioniert hat. Lange Zeit war ich sehr orientierungslos, aber jetzt liegt das Schlimmste fast hinter mir.
Im nächsten halben Jahr mache ich mit meiner wundervollen Tochter Chloe Urlaub. Wir lassen uns den Kopf frei pusten und erleben ein paar Abenteuer, die lange
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