Deine Juliet
von Juliet Ashton vorliegen und bin erstaunt über den Inhalt. Verstehe ich recht, dass ich eine Charakter-Empfehlung für sie abgeben soll? Schön, sei’s drum! Ich kann ihren Charakter nicht in Zweifel ziehen – nur ihren gesunden Menschenverstand. Sie hat keinen.
Wie Sie wissen, würfelt der Krieg die unterschiedlichsten Leute zusammen, und Juliet und ich waren von Anfang an zusammengewürfelt, als wir während des Blitzkriegs bei der Brandwache waren. Die Brandwächter verbrachten ihre Nächte auf verschiedenen Londoner Dächern und mussten Ausschau halten, wo eventuell Brandbomben fallen würden. Fielen welche, rannten wir mit Handpumpe und Sandeimern los, um jedes kleine Feuer zu ersticken, ehe es sich ausbreiten konnte. Juliet und mich hatte man dazu bestimmt, als Paar zusammenzuarbeiten. Wir haben nicht geschwatzt, wie es weniger pflichtbewusste Wächter getan hätten. Ich bestand darauf, dass wir die ganze Zeit uneingeschränkte Wachsamkeit walten ließen. Trotzdem habe ich ein paar Einzelheiten über ihr Leben vor dem Krieg erfahren.
Ihr Vater war ein achtbarer Bauer in Suffolk. Ihre Mutter war, so vermute ich, eine typische Bauersfrau, die Kühe molk und Hühner rupfte, wenn sie nicht mit ihrer Buchhandlung in Bury St. Edmunds beschäftigt war. Juliets Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie zwölf war, und sie lebte fortan in St. John’s Wood bei ihrem Großonkel, einem namhaften Kenner der Klassiker. Dort stellte sie seine Forschungen und seinen Haushalt auf den Kopf, indem sie fortlief – zweimal.
In seiner Verzweiflung schickte er sie in ein exklusives Internat.Nach ihrem Schulabschluss verzichtete sie auf eine Weiterbildung, kam nach London und teilte sich mit ihrer Freundin Sophie Stark eine kleine Wohnung. Tagsüber arbeitete sie in Buchhandlungen. Abends schrieb sie ein Buch über eine von den armen Brontë-Schwestern – welche, ist mir entfallen. Ich glaube, das Buch wurde von dem Verlag Stephens & Stark herausgebracht, dessen Eigentümer Sophies Bruder ist. Obwohl biologisch unmöglich, kann ich nur annehmen, dass die Veröffentlichung des Buches einer Art Vetternwirtschaft geschuldet war.
Wie dem auch sei, sie veröffentlichte sodann Berichte in diversen Zeitschriften und Zeitungen. Mit ihrer leichtfertigen, frivolen Denkweise gewann sie viele Anhänger unter den weniger intellektuell eingestellten Lesern, deren es leider viele gibt. Sie gab das allerletzte Geld ihres Erbes für eine Wohnung in Chelsea aus. Chelsea, Heimat von Künstlern, Mannequins, Freigeistern und Sozialisten – völlig verantwortungslosen Leuten, aber genau so war Juliet bei der Brandwache.
Ich komme nun zu den Besonderheiten unserer Bekanntschaft.
Juliet und ich waren zwei von mehreren Wächtern, die dem Dach der Anwaltskammer zugeteilt waren. Lassen Sie mich zunächst sagen, dass für einen Wächter rasches Handeln und ein klarer Kopf unerlässlich waren – man musste
alles
beobachten, was um einen herum vorging.
Alles
.
In einer Nacht im Mai wurde eine Bombe mit starker Sprengkraft durch das Dach der Bibliothek der Anwaltskammer geworfen. Die Bibliothek befand sich in einiger Entfernung von Juliets Posten, aber sie war so entsetzt über die Vernichtung der kostbaren Bücher, dass sie zu den Flammen
hin
spurtete – als könnte sie auf eigene Faust die Bibliothek vor ihrem Schicksal bewahren! Natürlich richtete sie in ihrer Verblendung nur noch mehr Schaden an, denn die Feuerwehrmänner mussten kostbare Minuten vergeuden, um sie zu retten.
Ich glaube, Juliet hat bei dem Debakel leichte Verbrennungenerlitten, aber fünfzigtausend Bücher wurden ins Jenseits befördert. Juliets Name wurde von der Liste der Brandwächter gestrichen, und das mit Recht. Ich habe erfahren, dass sie danach der Hilfsbrandwache ihre Dienste anbot, die am Morgen nach einem Bombenangriff zur Stelle war, um den Rettungsmannschaften Tee und Trost zu spenden. Die Hilfsbrandwache leistete auch den Überlebenden Beistand: mit der Zusammenführung von Familien und der Beschaffung von vorübergehenden Unterkünften, Kleidung, Nahrung und Geldmitteln. Ich glaube, diese Tagesarbeit entsprach Juliet – jedenfalls löste sie zwischen den Teetassen keine Katastrophe aus.
Es stand ihr frei, ihre Nächte zu verbringen, wie es ihr beliebte. Zweifellos gehörte dazu das Verfassen weiterer leichtfertiger Zeitungsartikel, denn der
Spectator
verpflichtete sie, eine wöchentliche Kolumne über den Zustand der Nation in
Weitere Kostenlose Bücher