Deine Juliet
transportable Bibliothek.»
Wir kletterten hinauf zu seinem Auto. Er wollte wissen, ob ich mir ein neues Fass beschaffen könne. Ich sagte ja und beschrieb ihm meine Wasserbelieferungstour. Er nickte, und ich setzte mich mit meinem Wägelchen in Bewegung. Aber dann drehte ich mich um und sagte: «Ich kann Ihnen das Buch leihen, wenn Sie wollen.» Man hätte meinen können, ich hätte ihm den Mond geschenkt. Wir tauschten unsere Namen aus und gaben uns die Hand.
Von da an hat er mir oft geholfen, Wasser hochzutragen, und dann bot er mir eine Zigarette an, und wir standen auf der Straße und unterhielten uns – über die Schönheit Guernseys, über Geschichte, über Bücher, über Landwirtschaft, aber nie über die Gegenwart, immer über Dinge, die nichts mit dem Krieg zu tun hatten. Als wir einmal so dort standen, kam Elizabeth auf ihremFahrrad die Straße entlanggeklappert. Sie hatte den ganzen Tag und vermutlich auch den größten Teil der vergangenen Nacht Kranke gepflegt, und wie bei uns anderen bestanden ihre Kleider mehr aus Flicken als aus Stoff. Aber Christian brach mitten im Satz ab und sah sie an, während sie näher kam. Elizabeth hielt bei uns an. Niemand sprach ein Wort, aber ich sah ihre Gesichter und entfernte mich, sobald ich konnte. Ich hatte nicht gewusst, dass sie sich kannten.
Christian war Arzt in einem Feldlazarett gewesen, bis er wegen seiner Schulter von Osteuropa nach Guernsey versetzt wurde. Anfang 1942 beorderte man ihn zu einem Lazarett nach Caen. Sein Schiff wurde von Bombern der Alliierten versenkt, und er ertrank. Hauptmann Mann, der Leiter des deutschen Lazaretts auf Guernsey, wusste, dass wir befreundet waren, und kam, um mir von seinem Tod zu berichten. Er wollte, dass ich es Elizabeth sagte, und das tat ich.
Die Art und Weise, wie Christian und ich uns kennengelernt haben, mag ungewöhnlich gewesen sein, doch unsere Freundschaft war es nicht. Ich bin überzeugt, dass viele Inselbewohner sich mit Soldaten angefreundet haben. Aber ich denke manchmal an Charles Lamb und staune, dass ein Mann, der 1775 geboren wurde, es mir ermöglicht hat, zwei Freunde wie Sie und Christian zu gewinnen.
Herzlich,
Ihr Dawsey
Juliet an Amelia Mangery
4. April 1946
Liebe Amelia,
zum ersten Mal seit Monaten ist die Sonne herausgekommen, und wenn ich mich auf einen Stuhl stelle und den Hals recke, kann ich sie auf dem Fluss glitzern sehen. Ich würdige die Schutthaufen auf der anderen Straßenseite einfach keines Blickes und tue so, als sei London wieder schön.
Ich habe einen traurigen Brief von Dawsey bekommen, in dem er mir von Christian Hellmann erzählt, von seiner Liebenswürdigkeit und seinem Tod. Es ist, als ginge der Krieg immer noch weiter. So eine gute Seele – dahin. Was für ein bitterer Schlag muss das für Elizabeth gewesen sein. Ich bin froh, dass Sie, Eben, Isola und Dawsey ihr beistehen konnten, als sie das Kind bekam.
Es ist schon fast Frühling. Mir ist beinahe warm in meinem Fleckchen Sonnenschein. Und auf der Straße – jetzt gucke ich doch – streicht ein Mann in einem geflickten Pullover seine Haustür himmelblau an. Zwei kleine Jungen, die sich eben noch mit Stöcken geprügelt haben, fragen, ob sie helfen dürfen. Er gibt jedem einen kleinen Pinsel. Vielleicht hat der Krieg ja doch ein Ende.
Herzliche Grüße,
Juliet
Mark an Juliet
5. April 1946
Liebe Juliet,
Sie weichen mir aus, und das gefällt mir gar nicht. Ich will das Stück mit niemand anderem sehen – ich möchte mit Ihnen hingehen. In der Tat kann mir das Stück gestohlen bleiben, ich versuche nur, Sie aus der Wohnung zu locken. Abendessen? Tee? Cocktails? Bootfahren? Tanzen? Sie bestimmen, und ich werde gehorchen. Ich bin selten so fügsam – lassen Sie sich diese Gelegenheit, meinen Charakter zu verbessern, nicht entgehen.
Immer Ihr
Mark
Juliet an Mark
Lieber Mark,
möchten Sie mit mir ins Britische Museum kommen? Ich habe um 14 Uhr eine Verabredung im Lesesaal. Wir können uns hinterher die Mumien anschauen.
Juliet
Mark an Juliet
Zum Teufel mit dem Lesesaal und den Mumien. Gehen Sie mit mir Mittag essen.
Mark
Juliet an Mark
Das nennen Sie fügsam?
Juliet
Mark an Juliet
Zum Teufel mit fügsam.
M.
Will Thisbee an Juliet
7. April 1946
Sehr geehrte Miss Ashton,
ich bin Mitglied des Clubs der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf. Ich bin Alteisenhändler, mancheLeute nennen mich allerdings lieber Lumpensammler. Ich
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