Deine Juliet
vorgelesen habe, konnte man das bratende Ferkel riechen und sein Fleisch brutzeln hören. Ich sprach von meinen fünfstöckigen Torten – man nehme ein Dutzend Eier –, meiner Zuckerwatte, meinen Rumkugeln, meinen Biskuitkuchen mit Unmengen Sahne. Kuchen und Torten aus gutem Mehl – nicht dieses Zeug aus gestoßenen Körnern und Vogelfutter, das wir damals nehmen mussten.
Nun, Miss, meine Zuhörer konnten es nicht ertragen. Sie waren außer sich, als sie meine Rezepte hörten. Isola Pribby, die noch nie über Manieren verfügte, schrie, ich würde sie quälen und sie werde meine Kochtöpfe verhexen. Will Thisbee sagte, ich solle brennen wie meine flambierten Kirschen. Dann hat Thompson Stubbins mich beschimpft, und nur mit vereinten Kräften konnten Dawsey und Eben mich unversehrt hinausbringen.
Eben sprach tags darauf vor, um sich für das schlechte Benehmen der Clubmitglieder zu entschuldigen. Er bat mich, zu bedenken, dass die meisten von ihnen direkt von einer Mahlzeitgekommen waren, die aus Rübensuppe (ohne einen Knochen darin, um sie gehaltvoller zu machen) oder aus gekochten und an einem Plätteisen angesengten Kartoffeln bestand – es gab ja kein Fett, um sie zu braten. Er bat mich, großmütig zu sein und ihnen zu verzeihen.
Aber das werde ich nicht tun – sie haben mich beschimpft. Nicht einer von ihnen liebt die Literatur wirklich. Denn das war mein Kochbuch – reine Poesie in der Pfanne. Ich glaube, die haben sich so gelangweilt, mit der Ausgangssperre und den anderen Nazivorschriften, sie wollten bloß einen Vorwand, um mal an einem Abend rauszukommen, und da haben sie sich eben das Lesen ausgesucht.
Ich möchte, dass in Ihrer Geschichte die Wahrheit über sie steht. Die hätten nie ein Buch angerührt, wäre nicht die BESATZUNG gewesen. Ich stehe zu dem, was ich sage, und Sie dürfen mich wörtlich zitieren.
Mein Name ist Clara S-A-U-S-S-E-Y. Mit insgesamt drei S.
Clara Saussey (Mrs.)
Amelia an Juliet
10. April 1946
Meine liebe Juliet,
auch ich habe das Gefühl, dass der Krieg immer noch weitergeht. Als mein Sohn Ian in Alamein fiel – Seite an Seite mit John, Elis Vater –, sagten kondolierende Besucher, wohl in der gutgemeinten Absicht, mich zu trösten: «Das Leben geht weiter.» So ein Unsinn, dachte ich, natürlich tut es das nicht. Der Tod ist es, der weitergeht. Ian ist jetzt tot und wird es morgensein und nächstes Jahr und immerdar. Das nimmt kein Ende. Aber vielleicht wird das Leid darüber einmal ein Ende haben. Leid hat die Welt überschwemmt wie das Wasser der Sintflut, und es wird seine Zeit brauchen, bis es sich zurückzieht. Doch schon zeigen sich Inseln – der Hoffnung? Des Glücks? Etwas in der Art jedenfalls. Mir gefällt die Vorstellung, wie Sie auf Ihrem Stuhl stehen, um einen Blick auf die Sonne zu erhaschen, und sich von den Schutthaufen abwenden.
Meine größte Freude ist es, dass ich meine Abendspaziergänge auf den Klippen wieder aufnehmen konnte. Der Kanal ist nicht mehr mit Stacheldraht eingezäunt, die Aussicht nicht mehr verunstaltet mit Schildern, auf denen VERBOTEN steht. Unsere Strände sind von Minen geräumt, und ich kann gehen, wann, wohin und wie lange ich will. Wenn ich mit dem Gesicht zum Meer auf den Klippen stehe, sehe ich die hässlichen Betonbunker hinter mir nicht und das Land, das nackt ist ohne seine Bäume. Nicht einmal die Deutschen konnten das Meer zugrunde richten.
In diesem Sommer wird Stechginster um die Befestigungsanlagen wachsen, und im nächsten Jahr werden sie vielleicht von Kletterpflanzen überrankt. Hoffentlich sind sie bald zugewachsen. Ich kann wegschauen, soviel ich will, ich werde trotzdem nie vergessen können, wie sie entstanden sind.
Die Arbeiter der Organisation Todt haben sie gebaut. Ich weiß, dass Sie von den deutschen Zwangsarbeitern in Lagern auf dem Festland gehört haben, aber wussten Sie, dass Hitler über sechzehntausend hierher auf die Kanalinseln geschickt hat?
Hitler wollte diese Inseln befestigen, koste es, was es wolle – England sollte sie nie zurückbekommen! Seine Generäle nannten das «Inselwahn». Er befahl die Aufstellung von Großgeschützen, von Panzersperren an den Stränden, von vielen hundert Bunkern, von Artilleriebataillonen, er ließ Waffen- und Bombendepots anlegen, kilometerlange unterirdische Tunnel, ein riesiges unterirdisches Lazarett, und er ließ eine Eisenbahnquer über die Insel bauen, damit das Material transportiert werden konnte. Die Küstenbefestigungen
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