Deine Juliet
waren absurd – die Kanalinseln waren besser befestigt als der Atlantikwall, der gegen eine Großlandung der Alliierten errichtet worden war. Die Anlagen ragten aus jeder Bucht. Das Dritte Reich sollte tausend Jahre währen – in Beton.
Dazu brauchte Hitler natürlich Tausende von Zwangsarbeitern. Männer und Jungen wurden zwangsverpflichtet, manche wurden verhaftet, andere direkt von der Straße weggeholt, aus Kinoschlangen und Cafés, von Feldwegen und Äckern der von Deutschen besetzten Gebiete. Sogar politische Gefangene des Spanischen Bürgerkriegs waren dabei. Die russischen Kriegsgefangenen wurden am schlechtesten behandelt, wohl wegen ihres Sieges über die Deutschen an der russischen Front.
Die meisten dieser Zwangsarbeiter kamen 1942 auf die Inseln. Sie wurden in offenen Schuppen, ausgehobenen Tunneln, hinter Zäunen auf Dorfplätzen gefangen gehalten, manche auch in Häusern. Sie wurden über die ganze Insel zu ihren Arbeitsplätzen getrieben: abgemagert bis auf die Knochen, in zerlumpten Hosen, durch welche die nackte Haut zu sehen war, oftmals ohne Mäntel, die sie vor der Kälte hätten schützen können. Ohne Schuhe oder Stiefel, die Füße mit blutigen Lappen umwickelt. Die jungen Burschen von fünfzehn und sechzehn Jahren waren so geschwächt und ausgehungert, dass sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnten.
Die Bewohner von Guernsey stellten sich vor ihre Türen, um ihnen das wenige anzubieten, was sie an Lebensmitteln oder warmer Kleidung entbehren konnten. Manchmal ließen die Deutschen, die die Arbeiterkolonnen bewachten, die Männer aus der Reihe ausscheren, um die Geschenke in Empfang zu nehmen – dann wieder schlugen sie sie mit Gewehrkolben nieder.
Tausende von diesen Männern und Jungen sind hier gestorben, und ich habe kürzlich erfahren, dass Eichmann diese unmenschliche Behandlung angeordnet hat. Er nannte seinen Plan«Tod durch Erschöpfung», und er hat ihn ausgeführt. Zwingt sie zu harter Arbeit, verschwendet keine wertvollen Nahrungsmittel an sie und lasst sie sterben. Sie konnten jederzeit durch neue Zwangsarbeiter aus den besetzten europäischen Ländern ersetzt werden – und das wurden sie auch.
Einige Zwangsarbeiter wurden hinter einem Drahtzaun auf den Dorfplätzen gefangen gehalten – sie waren weiß wie Gespenster, mit Zementstaub bedeckt. Es gab nur eine einzige Wasserpumpe für mehr als hundert Mann, um sich zu waschen.
Hin und wieder gingen Kinder zum Dorfanger, um die Zwangsarbeiter hinter dem Drahtzaun zu besuchen. Sie steckten ihnen Walnüsse und Äpfel durch das Gitter, manchmal auch Kartoffeln. Einen Arbeiter gab es, der das Essen nicht annahm – er kam nur zum Zaun, weil er die Kinder sehen wollte. Er steckte die Arme durch das Gitter, um ihre Gesichter zu berühren und ihnen übers Haar zu streichen.
Einen halben Tag in der Woche gaben die Deutschen den Zwangsarbeitern frei – sonntags. An diesem Tag leiteten die deutschen Sanitärtechniker sämtliche Abwässer mit einem großen Rohr ins Meer. Die Fische schwammen in Schwärmen zu dem Unrat, und die Zwangsarbeiter standen bis an die Brust in Fäkalien und Dreck und versuchten, die Fische mit den Händen zu fangen, um sie zu essen.
Wie sollten Blumen oder Kletterpflanzen solche Erinnerungen verdecken?
Jetzt habe ich Ihnen die widerwärtigsten Geschichten vom Krieg erzählt. Juliet, Isola meint, Sie sollten hierherkommen und ein Buch über die deutsche Besatzung schreiben. Sie sagt zwar, sie selbst könnte ein solches Buch nicht schreiben, aber so lieb Isola mir ist, ich befürchte dennoch, dass sie sich einen Notizblock kauft und auf der Stelle anfängt.
Es grüßt Sie herzlich
Amelia
Juliet an Dawsey Adams
11. April 1946
Lieber Dawsey,
nachdem sie gelobt hatte, mir nie mehr zu schreiben, hat Adelaide Addison mir wieder einen Brief geschickt. Er befasst sich mit all den Menschen und Gepflogenheiten, die sie verachtet, und dazu gehören auch Sie und Charles Lamb.
Wie es scheint, wollte sie Ihnen die Aprilausgabe des Gemeindeblattes vorbeibringen – und Sie waren nirgends zu finden. Nicht beim Melken Ihrer Kuh, nicht beim Unkrautjäten, nicht beim Putzen und auch sonst bei keiner der Verrichtungen, denen sich ein guter Bauer widmen sollte. Aber als sie in Ihren Scheunenhof trat – was musste sie erblicken? Sie, wie Sie auf dem Heuboden lagen und ein Buch von Charles Lamb lasen! Sie waren «so hingerissen von diesem Trunkenbold», dass Sie ihre Anwesenheit gar nicht bemerkten.
So
Weitere Kostenlose Bücher