Deine Juliet
Welche Farbe haben Deine Wände? Dein Sofa? Ordnest Du Deine Bücher alphabetisch? (Hoffentlich nicht.) Sind Deine Schubladen ordentlich oder schlampig? Summst Du manchmal vor dich hin, und wenn ja,was? Hast Du lieber Katzen oder Hunde? Oder Fische? Was isst Du eigentlich zum Frühstück – oder hast Du eine Köchin?
Siehst Du? Ich kenne Dich nicht gut genug, um Dich zu heiraten.
Ich habe noch eine Mitteilung, die Dich interessieren dürfte: Sidney ist nicht Dein Rivale. Ich bin nicht und war nie in Sidney verliebt, und er nicht in mich. Auch werde ich ihn niemals heiraten. Ist das entschieden genug für Dich?
Bist Du Dir vollkommen sicher, dass Du nicht lieber mit einer verheiratet sein möchtest, die fügsamer ist als ich?
Deine Juliet
Juliet an Sophie
2. Mai 1946
Liebste Sophie,
ich wünschte, Du wärst hier. Ich wünschte, wir wären noch zusammen in unserer gemütlichen kleinen Wohnung und würden im Laden des guten Mr. Hawke arbeiten und jeden Tag salzige Kekse mit Käse zum Abendbrot essen. Ich möchte so gerne mit Dir reden. Ich möchte, dass Du mir sagst, ob ich Mark Reynolds heiraten soll.
Er hat mich gestern Abend gefragt – in einem romantischen französischen Restaurant, ohne gebeugtes Knie, aber mit einem Diamanten, so groß wie ein Taubenei. Womöglich will er mich heute Morgen gar nicht mehr heiraten – er ist fuchsteufelswild, weil ich ihm nicht mit einem eindeutigen Ja geantwortet habe. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass ich ihn noch nicht lange genug kenne und Zeit zum Nachdenken brauche, aber er hat mir nicht zugehört. Er war überzeugt, dass ich ihn wegen einerheimlichen Leidenschaft zurückweise – für Sidney! Die haben es wirklich aufeinander abgesehen, die zwei.
Gott sei Dank waren wir da schon in seiner Wohnung – er hat angefangen zu brüllen wegen Sidney und gottverlassener Inseln und Frauen, denen mehr an einer Bande von Fremden liegt als an Männern, die direkt vor ihnen stehen (damit meinte er Guernsey und meine neuen Freunde dort). Ich habe beharrlich weiter versucht, es ihm zu erklären, und er hat beharrlich weiter gebrüllt, bis ich vor Wut anfing zu weinen. Daraufhin war er zerknirscht, was so liebenswert und ihm so unähnlich war, dass ich um ein Haar doch ja gesagt hätte. Aber dann stellte ich mir vor, wie ich zeit meines Lebens weinen müsste, damit er lieb zu mir ist, und da war ich wieder beim Nein. Wir stritten uns, und er hielt mir Vorträge, und ich weinte noch ein bisschen, weil ich schon ganz erschöpft war, und am Ende rief er seinen Chauffeur, der mich nach Hause fahren sollte. Er schob mich auf den Rücksitz, beugte sich hinein, küsste mich und sagte: «Du bist ein Dummkopf, Juliet.»
Vielleicht hat er ja recht. Weißt du noch, wie wir die ach so schauderhaften Romane von Cheslayne Fair gelesen haben, in dem Sommer, als wir dreizehn waren? Mein Lieblingsbuch war
Der Herr von Blackheath
. Ich habe es bestimmt zwanzigmal gelesen (und Du auch, streite es ja nicht ab). Erinnerst Du Dich an Ransom, der mannhaft seine Liebe zu der mädchenhaften Eulalie geheim hielt, damit sie sich frei entscheiden konnte, und dabei nicht ahnte, dass sie ihn sehnlichst begehrte, seit sie mit zwölf Jahren vom Pferd gefallen war? Und jetzt kommt’s, Sophie – Mark Reynolds ist genau wie Ransom. Er ist groß und stattlich, mit tückischem Lächeln und scharf geschnittenem Kinn. Er bahnt sich energisch seinen Weg durch die Menge und achtet nicht auf die Blicke, die ihm folgen. Er ist ungeduldig und anziehend, und wenn ich mir die Nase pudern gehe, höre ich andere Frauen über ihn sprechen, ganz so, wie es bei Eulalie im Museum war. Die Menschen nehmen ihn einfachwahr. Er bemüht sich nicht darum – sie können gar nicht anders.
Ransom hat mir damals Schauer über den Rücken gejagt. Manchmal geht es mir bei Mark ebenso, wenn ich ihn ansehe, aber ich werde das bohrende Gefühl nicht los, dass ich keine Eulalie bin. Sollte ich jemals vom Pferd fallen, wäre es himmlisch, von Mark aufgehoben zu werden, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass ich in absehbarer Zeit von einem Pferd fallen werde. Viel wahrscheinlicher ist es, dass ich nach Guernsey fahre und ein Buch über die Besatzungszeit schreibe, und diesen Gedanken kann Mark nicht ertragen. Er möchte, dass ich in London bleibe und wie ein vernünftiger Mensch in Restaurants und Theater gehe und ihn heirate.
Schreib und sag mir, was ich tun soll.
Liebste Grüße an Dominic –
und
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