Deine Juliet
natürlich an Dich und Alexander,
Juliet
Juliet an Sidney
3. Mai 1946
Lieber Sidney,
ich mag ja ohne Dich nicht so verzweifelt sein wie Stephens & Stark, aber ich vermisse Dich und brauche Deinen Rat. Bitte lass alles stehen und liegen und schreib mir unverzüglich.
Ich will raus aus London. Ich will nach Guernsey. Du weißt, wie sehr mir meine Guernseyer Freunde ans Herz gewachsen sind und wie sehr ihr Leben unter den Deutschen – und danach – mich interessiert. Ich habe die Akten des Flüchtlingskomitees der Kanalinseln studiert. Ich habe die Berichte des RotenKreuzes gelesen. Ich habe alles über die Zwangsarbeiter der Organisation Todt gelesen, was ich finden konnte – es gibt bislang nicht viel. Ich habe einige Soldaten befragt, die Guernsey befreit haben, und mit Pionieren vom Königlichen Armeekorps gesprochen, die an den Stränden Tausende von Minen geräumt haben. Ich habe sämtliche «nicht geheimen» Regierungsberichte gelesen über den Gesundheitszustand der Inselbewohner, über ihren Gemütszustand, über ihre Versorgung mit Lebensmitteln. Aber ich will mehr wissen. Ich will die Geschichten von den Leuten hören, die dort waren, und die erfahre ich nicht, wenn ich in einer Bibliothek in London sitze.
Zum Beispiel las ich gestern einen Artikel über die Befreiung. Ein Reporter hatte einen Bewohner von Guernsey gefragt: «Was ist Ihnen während der Herrschaft der Deutschen am schwersten gefallen?» Er hat sich über die Antwort des Mannes lustig gemacht, aber ich fand sie vollkommen plausibel. Der Inselbewohner sagte: «Wissen Sie, dass sie uns alle Radios weggenommen haben? Wenn man mit einem illegalen Empfänger erwischt wurde, konnte man aufs Festland ins Gefängnis geschickt werden. Nun haben diejenigen von uns, die heimlich ein Radio hatten, natürlich von der Landung der Alliierten in der Normandie gehört. Das Dumme war nur, wir durften nichts davon wissen! Das war das Schwierigste, was ich je getan habe – am 7. Juni durch St. Peter Port zu laufen, ohne zu grinsen, ohne zu lächeln, ohne irgendetwas zu tun, woran die Deutschen merkten, dass ich von ihrem nahenden Ende WUSSTE. Hätten sie etwas gemerkt, dann hätte jemand dafür büßen müssen – darum mussten wir uns verstellen. Es war sehr schwer, so zu tun, als wüssten wir nicht, dass die Alliierten gelandet waren.»
Ich möchte Menschen wie ihn befragen (obwohl er inzwischen von Schreiberlingen die Nase voll haben dürfte) und von ihrem Krieg hören, denn das ist mir lieber als Statistiken über Getreide. Ich bin mir nicht sicher, wie so ein Buch aussehenwürde oder ob ich es überhaupt schreiben kann. Aber ich möchte nach St. Peter Port und es herausfinden.
Habe ich Deinen Segen?
Liebste Grüße an Dich und Piers,
Juliet
Telegramm von Sidney an Juliet
10. Mai 1946
Segen erteilt! Guernsey ist eine großartige Idee, für Dich und für das Buch. Aber wird Reynolds es gestatten? – Sidney
Telegramm von Juliet an Sidney
11. Mai 1946
Segen erhalten. Mark Reynolds hat mir nichts zu verbieten oder zu gestatten. – Juliet
Amelia an Juliet
13. Mai 1946
Meine Liebe,
wie habe ich mich gefreut, als gestern Ihr Telegramm kam, in dem Sie schreiben, dass Sie uns besuchen werden!
Ich habe Ihre Bitte befolgt und die Neuigkeit sofort verbreitet – Sie haben den Club ganz schön in Aufregung versetzt. Die Mitglieder haben sofort angeboten, Sie mit allem zu versorgen, was Sie brauchen könnten: mit einer Unterkunft, Verpflegung, mit Einführungen und einem Satz elektrischer Wäscheklammern. Isola ist vollkommen aus dem Häuschen, weil Sie kommen, und ist schon im Sinne Ihres Buches tätig. Ich habe ihr zwar zu bedenken gegeben, dass es bislang nur eine Idee ist, aber sie ist eisern entschlossen, Material für Sie zu sammeln. Sie hat alle Leute, die sie vom Markt kennt, gebeten (ihnen vielleicht gar zugesetzt?), Ihnen Briefe über die Besatzungszeit zu schreiben. Sie meint, die brauchen Sie, um Ihren Verleger zu überzeugen, dass das Thema ein Buch wert ist. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie in den kommenden Wochen mit Post überschwemmt werden.
Außerdem hat Isola heute Nachmittag Mr. Dilwyn in der Bank aufgesucht und ihn gebeten, Ihnen Elizabeths Cottage für die Dauer Ihres Besuches zur Miete zu überlassen. Es ist ein hübsches Anwesen auf einer Weide unterhalb des Herrenhauses und klein genug, um es mühelos in Ordnung halten zu können. Elizabeth ist dort eingezogen, als die deutschen
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