Deine Juliet
stammen von mir. Isola schien nichts weiter dabei zu finden.
Bei Eddie Meares handelt es sich offenbar um einen bösartigen Klotz von Mann, der gegen Gefälligkeiten Informationen an die deutsche Militärverwaltung weitergab oder verkaufte. Jeder wusste davon, was ihn anscheinend nicht kümmerte, denn wenn er eine Bar aufsuchte, prahlte er ganz offen mit seinem neuen Reichtum: einem Laib Weißbrot, Zigaretten und Seidenstrümpfen – die, sagte er, jedes Mädel auf der Insel mit Kusshand nehmen würde.
Eine Woche nach der Verhaftung von Elizabeth und Peter zeigte er ein silbernes Zigarettenetui herum und deutete an, er habe es zur Belohnung für die Meldung gewisser Vorkommnissein Peter Sawyers Haus erhalten, die seinem scharfen Auge nicht entgangen seien.
Dawsey hörte davon und ging am folgenden Abend zu Crazy Ida. Offenbar trat er ein, ging direkt auf Eddie Meares zu, packte ihn beim Hemdkragen, riss ihn vom Barhocker hoch und knallte seinen Kopf auf die Theke. Er nannte Eddie einen lausigen kleinen Scheißer und ließ zwischen jedem Wort seinen Kopf auf den Tresen krachen. Dann zerrte er Eddie ganz vom Hocker herunter und wälzte sich mit ihm auf dem Boden.
Laut Isola war Dawsey übel zugerichtet: Er blutete aus Nase und Mund, ein Auge war zugeschwollen, eine Rippe gebrochen – doch Eddie Meares sah noch schlimmer aus: zwei blaue Augen, zwei gebrochene Rippen und diverse Wunden, die genäht werden mussten. Das Gericht verurteilte Dawsey zu drei Monaten im Gefängnis von Guernsey, ließ ihn aber nach einem wieder laufen. Die Deutschen brauchten die Zellen für ernsthaftere Kriminelle, wie Schwarzmarkthändler und Diebe, die Benzin von Militärlastwagen stahlen.
«Und bis zum heutigen Tag bekommt Eddie Meares, wenn er Dawsey bei Crazy Ida zur Tür hereinkommen sieht, einen flackernden Blick, verschüttet sein Bier und ist keine fünf Minuten später wie ein geölter Blitz zur Hintertür hinaus», schloss Isola ihren Bericht.
Natürlich brannte ich darauf, mehr zu erfahren. Da ihr Vertrauen in die Schädelhöcker erschüttert ist, wandte Isola sich unstreitigen Tatsachen zu.
Dawsey hatte keine sehr glückliche Kindheit. Mit elf Jahren verlor er seinen Vater, und Mrs. Adams, die immer schon schwächlich gewesen war, entwickelte eigenartige Züge. Zunächst ging sie, von Ängsten geplagt, nicht mehr in den Ort, dann mied sie auch den Garten, und schließlich verließ sie das Haus überhaupt nicht mehr. Sie saß einfach nur in der Küche, wiegte sich vor und zurück und starrte hinaus. Sie starb kurz vor Kriegsausbruch.
Isola sagte, all das zusammengenommen – seine Mutter, die Arbeit auf der Farm und sein zeitweilig schweres Stottern – hätte dazu geführt, dass Dawsey immer sehr scheu war und außer Eben nie richtige Freunde hatte. Isola und Amelia kannten ihn ein wenig, aber sonst hatte er niemanden.
So war es, bis Elizabeth kam – die ihm keine andere Wahl ließ, als sich mit ihr anzufreunden, und ihn förmlich zwang, dem Buchclub beizutreten. Und da, sagte Isola, blühte er auf! Jetzt konnte er über Bücher sprechen statt über die Schweinepest, und hatte Freunde zum Reden. Je mehr er redete, sagte Isola, desto weniger stotterte er.
Ist er nicht ein rätselhaftes Geschöpf? Vielleicht ist er ja doch wie Mr. Rochester und hat einen geheimen Kummer. Oder eine verrückte Frau unten bei sich im Keller. Alles ist denkbar, vermute ich, obwohl es nicht leicht gewesen sein dürfte, im Krieg mit einer Ration Lebensmittelkarten auch noch eine verrückte Ehefrau durchzufüttern. Ach, ich wünschte, wir wären wieder Freunde (Dawsey und ich, nicht die verrückte Ehefrau).
Ich wollte Dawsey eigentlich in ein, zwei Sätzen abhandeln, sehe aber, dass er mehrere Seiten gefüllt hat. Jetzt muss ich mich schnell für die Versammlung des Buchclubs heute Abend präsentabel machen. Ich nenne genau einen anständigen Rock mein Eigen und komme mir langweilig und bieder vor. Remy dagegen wirkt, obwohl sie so dünn und zerbrechlich ist, bei jedem Anlass chic und elegant. Wie machen die Französinnen das nur?
Bald mehr.
Liebste Grüße,
Juliet
Juliet an Sidney
12. August 1946
Lieber Sidney,
es freut mich, dass Du Dich über meine Fortschritte mit Elizabeths Lebensgeschichte freust. Doch davon später mehr, denn erst muss ich Dir etwas erzählen, das unmöglich warten kann. Ich kann es selbst kaum glauben, aber es ist wahr. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!
Wenn, und wohlgemerkt wirklich
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