Deine Juliet
treibe. Er fragte Pheen nach ihrem Namen und dem Namen des Hofes, auf dem sie lebte. Ihre Antworten trug er mit einem silbernen Bleistift in ein kleines Notizbuch ein, versicherte ihr, sie werde von ihm hören, küsste ihr die Hand, stieg wieder in die Kutsche und fuhr davon.
So absurd das alles klingen mag, Sidney, Pheen erhielt tatsächlich Briefe von ihm. Acht lange Briefe im Verlauf eines Jahres, die alle von Muffins Leben in Gestalt der französischen Katze Solange handelten. Sie war offenbar eine rechte Draufgängerin, nicht eine jener faulen Kreaturen, die sich müßig auf Kissen räkeln und Sahne schlecken, nein, sie durchlebte ein wildes Abenteuer nach dem anderen – die einzige Katze, der je die rote Rosette der Ehrenlegion verliehen wurde.
Was für eine Geschichte dieser Mann für Pheen da ersonnen hat – spritzig, witzig, voll Spannung und dramatischer Verwicklungen.Ich kann Dir nur berichten, welche Wirkung sie auf mich, auf uns alle, hatte. Wir saßen wie verzaubert da – selbst Will verschlug es die Sprache.
Doch hier nun endlich das, wozu ich einen klaren Kopf und einen vernünftigen Ratschlag brauche. Als die Lesung (nach viel Applaus) beendet war, bat ich Isola, die Briefe sehen zu dürfen, und sie gab sie mir.
Sidney, der Verfasser hat seine Briefe in schwungvollen Lettern folgendermaßen unterzeichnet:
Mit den aufrichtigsten Wünschen, Dein
O. F. O’F. W. W.
Sidney, was meinst Du? Wäre es möglich, dass Isola acht Briefe geerbt hat, die von Oscar Wilde geschrieben wurden? O Gott, ich bin ganz außer mir.
Ich glaube es, weil ich es glauben
will
, aber ist irgendwo festgehalten, dass Oscar Wilde je auf Guernsey war? Oh, gesegnet sei Speranza dafür, dass sie ihrem Sohn einen so verdrehten Namen gegeben hat wie Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde.
In Eile alles Liebe und bitte unverzüglich um Rat – ich kann kaum atmen.
Juliet
Telegramm (mit Zustellung am folgenden Tag) von Sidney an Juliet
14. August 1946
Lass es uns glauben! Billee Bee hat Nachforschungen angestellt und entdeckt, dass Oscar Wilde 1893 eine Woche auf Jersey weilte, es wäre also möglich, dass er dabei auch auf Guernsey war. Der angesehene Graphologe Sir William Otis wird am Freitag eintreffen, mit einigen aus der Sammlung seiner Universität entliehenen Briefen von Oscar Wilde im Gepäck. Ich habe für ihn eine Unterkunft im Hotel Royal gebucht. Er ist ein sehr würdiger Herr, und ich bezweifle, dass er es begrüßen würde, wenn Zenobia es sich auf seiner Schulter bequem macht.
Falls Will Thisbee auf seinem Schrottplatz den Heiligen Gral findet, erzähl mir nichts davon. Viel mehr verkraftet mein Herz nicht. – Sidney
Isola an Sidney
15. August 1946
Lieber Sidney,
Juliet sagt, Du schickst einen Handschriftenmenschen, der sich Großmama Pheens Briefe anschauen und entscheiden soll, ob Mr. Oscar Wilde sie geschrieben hat. Ich wette, er hat, und selbst wenn nicht, bin ich mir sicher, dass Du die Geschichte von Solange hinreißend finden wirst. So wie ich, wie Kit und Großmama Pheen. Sie würde vor Freude im Grab herumwirbeln, weil so viele außer ihr von diesem netten Mann und seinen lustigen Ideen wissen.
Juliet sagte zu mir, wenn Mr. Wilde tatsächlich die Briefe geschriebenhat, würden viele Lehrer und Schulen und Bibliotheken sie gern haben wollen und mir Geldsummen dafür bieten. Sie würden dafür sorgen, dass sie an einem sicheren, trockenen, ausreichend gekühlten Ort gelagert werden.
Dazu sage ich nein! Wo sie jetzt sind, ist es sicher und trocken und kühl genug. Großmama hat sie in ihrer Keksdose aufbewahrt, und da sollen sie auch bleiben. Natürlich kann jeder, der sie sehen will, zu mir kommen, dann zeige ich sie ihnen. Juliet hat gesagt, es würden vermutlich viele Gelehrte anreisen, was mich und Zenobia sehr freuen würde, da wir gern Gesellschaft haben.
Wenn Du die Briefe für ein Buch verwenden möchtest, kannst Du sie haben, allerdings hoffe ich, Du lässt mich das schreiben, was Juliet das Vorwort nennt. Ich würde gern von Großmama Pheen berichten, und ich habe ein Foto von ihr und Muffin an der Wasserpumpe. Juliet sagte etwas von Tantiemen, davon könnte ich mir dann ein Motorrad mit einem Beiwagen kaufen – zurzeit steht ein rotes, gebrauchtes bei Lenoux zum Verkauf.
Deine Freundin
Isola Pribby
Juliet an Sidney
18. August 1946
Lieber Sidney,
Sir William war da und ist wieder fort. Isola lud mich ein, bei der Begutachtung
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