Deine Seele in mir /
Gute Nacht zu wünschen, hatte sie Amy besonders lange und fest in ihre Arme geschlossen.
Auch Sam hatte seine Schwester zum Abschied noch einmal so tief – ja, fast prüfend – angesehen wie schon bei der Begrüßung.
Amy hat recht. Es besteht eindeutig eine Verbindung zwischen ihr und ihren Geschwistern.
Evelyn und Peter hatten alles über Amys neues Leben wissen wollen. Wie es begonnen hatte, wo sie nun lebte und wie – um alles in der Welt – es zu dem Wiedersehen zwischen uns beiden gekommen war. Sie hinterfragten Amys Erfahrungen mit dem Tod und ob sie zuvor starke Schmerzen oder Angst gehabt hätte.
Amy erzählte so frei und bereitwillig wie immer. Doch, als wäre es ein geheimes Abkommen zwischen uns, erwähnten wir nichts von ihrer Fähigkeit, mich gedanklich immer und überall aufsuchen zu können. Ebenso ließen wir meine eigene Gabe unerwähnt.
Genug der schweren Kost für den Anfang!
Erst als sehr viele Fragen schon eine Antwort gefunden hatten, brachte Peter zögerlich das Thema auf Amys neue Eltern. Seine Unsicherheit war ihm anzumerken.
Amy holte tief Luft und griff nach meiner Hand.
»Sie sind phantastisch«, begann sie, und ich atmete erleichtert auf. »Kristin und Tom, so heißen die beiden, sind eigentlich dafür verantwortlich, dass Matty und ich uns überhaupt wieder begegnet sind. Ich malte immer wieder ein und dasselbe Bild, und Matt erkannte das Motiv. Es zeigte uns beide, wie wir durch das Sonnenblumenfeld liefen. Matt konnte sich nicht erklären, warum dieses autistische Mädchen etwas malte, wovon nur er selbst und na ja … eben
ich
hätten wissen können, und so verließ er panisch das Haus. Kristin überraschte seine Reaktion. Sie suchte nach ihm und ließ nicht locker. Sie bat ihn, ihr zu erzählen, was ihn so erschreckt hatte, und ermutigte ihn regelrecht, auch an etwas zu glauben, was er vielleicht für unmöglich hielt. Und so erkannte er mich schließlich und holte mich Stück für Stück ins richtige Leben zurück. Für Tom war es etwas schwieriger, aber auch er öffnete sich für das Unfassbare. Wirklich, die beiden sind großartig.«
Peter und Evelyn sahen sich flüchtig, aber bedeutungsschwer an. Die unbändige Freude, die während des gesamten Abends in ihren Augen geglänzt hatte, wurde nun von einem Funken Melancholie überschattet. Von weiteren Fragen, die Kristin und Tom betrafen, sahen sie vorerst ab, und auch wir hielten uns zurück. Sie sollten das Tempo vorgeben. Wir hatten Zeit.
»Und ihr beide?« Evelyn sah zu Amy und von ihr lächelnd zu mir. »Ihr habt euch also wiedergefunden.«
»Ja«, antworteten wir wie aus einem Mund.
»Und?«, fragte Peter mit seiner tiefsten Stimme, als von uns nichts weiter kam. »Was hat dieses Wiedersehen nun ergeben?«
»Dass wir uns lieben«, gestand Amy leise mit einem bezaubernd verschämten Blick. Stolz und Schüchternheit brachten mein Herz bei ihrem Geständnis zum Rasen. Ich war mir sicher, wieder einmal rot anzulaufen, also neigte auch ich schnell den Kopf.
»Wir lieben uns!«, sagte Amy noch einmal. Wie zur Bestätigung. Dann warf sie mir einen flüchtigen Seitenblick zu.
»Ihr habt euch doch schon immer geliebt«, erwiderte Evelyn. Die zärtliche Nachgiebigkeit in ihrer Stimme ließ uns aufblicken.
»Als ihr noch klein wart, galt unsere größte Sorge der Zeit, wenn ihr zu Teenagern werden würdet. Wir hatten keine Ahnung, wie wir euch hätten voneinander fernhalten sollen. Peter und dein Vater, Matt, haben einige Abende im Monat Karten gespielt. Es ging dabei immer wieder scherzhaft darum, dass die Familie des Verlierers an Amys zwölftem Geburtstag den Ort hätte verlassen müssen. Und zwar für ein Jahrzehnt.«
Es dauerte einen Moment, doch dann prusteten Amy und ich lauthals los.
»Ja, das stimmt!« Peter lachte kurz mit uns, doch dann wurde sein Ton plötzlich bitter. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass Theo so kurz darauf wirklich wegziehen würde.«
»Nein, das konnten Sie nicht, Mr Charles«, bestätigte ich schnell. Unwillig, die gute Stimmung kippen zu lassen.
»Schluss, Junge!«, erwiderte Peter so streng, dass ich zusammenschreckte. »Kein Mister mehr aus deinem Mund, verstanden? Du hast unsere kleine Amy wiedergefunden. Wenn sich jemand das Du verdient hat, dann wohl du, Matt! Unsere Vornamen kennst du ja schon was länger. Also … nutze sie!«
Er lachte mich herzlich an und prostete mir zu; ich nickte stumm und etwas verlegen. Kurz darauf wurde Peters Gesicht jedoch erneut sehr ernst. Er
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