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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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dichtes grünes Laub ihre Äste bedeckt. Auch der Geruch, stellte ich erleichtert fest, glich der sommerlichen Mischung von damals kaum.
    Keine Sonnenblumen, kein schwerer Lavendel, kein Honig.
    Stattdessen nur feuchte Erde und vereinzelt der Geruch von frischem, kräftigem Gras.
    Allein die hohen Kiefern, auf die wir langsam zugingen, erinnerten mit ihrem Duft an diesen schrecklichen Morgen. Doch auch sie rochen nun um ein Vielfaches feuchter.
    Amy war wirklich erbarmungslos. Sie suchte sogar exakt den Baum, an den dieser Mistkerl mich damals gefesselt hatte. Sie lehnte sich gegen den Stamm und glitt langsam daran herab. Mit großen Augen sah sie zu mir auf und dann wieder zu der Stelle – nur einen guten Meter weg von diesem Baum –, wo sie gelegen und bis zu ihrem Tod unter ihm gelitten hatte.
    Mit verkrampften Händen, die ich schnell in meinen Hosentaschen verschwinden ließ, hatte ich dagestanden und nicht bemerkt, wie fest ich die Zähne aufeinanderpresste. Erst später, als mir bereits der gesamte Kiefer weh tat und aus der leisen Ahnung von Kopfschmerzen, die ich schon nach dem Aufstehen gehabt hatte, ein überdeutliches Hämmern wurde, war es mir bewusst geworden.
    »Er muss uns aufgelauert haben«, befand Amy nüchtern. »Das war nie und nimmer reiner Zufall. Er hatte es auf uns abgesehen. Oder wahrscheinlich nur auf mich. Du warst wohl nur ein lästiges Anhängsel. Meinst du, er hat uns schon lange vorher beobachtet? Ich habe niemals zuvor jemanden hier gesehen.«
    Ich war nicht imstande gewesen, ihr eine Antwort zu geben. Zu sehr beschäftigte mich das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen und noch mehr der feste Wille, das auf keinen Fall zuzulassen. Amy jedoch bohrte weiter, und ich war mir ziemlich sicher, dass sie das mit Absicht tat.
    Ich war wütend auf sie, doch je zorniger ich wurde, desto bewegungsunfähiger wurde ich und desto stärker wurde die Übelkeit.
    Warum ließ sie es nicht einfach gut sein, verdammt?
    »Warst du eigentlich so gefesselt, dass du mich ansehen
musstest?
«, fragte sie. Bei diesen Worten spürte ich einen Schwall Magensäure in meinem Hals. Meine Füße schienen plötzlich in dem weichen Waldboden zu versinken. Als ich merkte, dass es nicht der Untergrund, sondern meine Knie waren, die nachgaben, ließ ich mich herabgleiten.
    »Amy, mir ist schlecht«, warnte ich sie und spürte nun auch, wie sehr meine Hände bereits zitterten. Amy jedoch erwies sich weiterhin als gnadenlos, als hätte sie mich nicht gehört. Als würde sie – ausgerechnet sie – nicht merken, wie es um mich steht.
    Mittlerweile war mir jedoch vollkommen klar, was sie bezweckte, und ihr Bohren in all den alten Wunden erzielte bereits die gewünschte Wirkung. Nie war ich näher dran gewesen, sie zu hassen – noch nie zuvor hatte ich sie mehr geliebt.
    »Matty, erzähl mir von deiner Angst«, forderte sie schließlich und ging einige Schritte auf mich zu. Ich spürte, wie mir der Speichel im Mund zusammenlief.
    Bitter und schwer.
    Amy sah mich intensiv an, ging vor mir in die Hocke und legte ihre Hände locker auf meine Knie. »Ich habe dich schreien gehört, Matt, aber du hast es nie getan. Immer bist du still geblieben, bis heute. Als hättest du nach wie vor diesen Knebel im Mund. Du hattest Angst zu sterben, nicht wahr? Du hattest Angst vor den Dingen, die er dir antun würde. Dass er das Gleiche mit dir machen könnte, was er mir angetan hatte.
    Schrei es raus, Matt! Heul laut los oder … tu sonst etwas, aber hör endlich auf, alles in dich hineinzufressen.«
    Das reichte aus.
    Mein Magen fühlte sich an, als kehre sich sein Innerstes nach außen, und ich schaffte es so gerade noch rechtzeitig aufzustehen und mich würgend über einen der Büsche hinter mir zu beugen.
    Obwohl wir nichts gegessen hatten, was mir schwer hätte im Magen liegen können, war da etwas: Dieser bittere Klumpen aus purer Todesangst und Hilflosigkeit. Die Unfähigkeit, das Erlebte zu verarbeiten. All die Alpträume, die durchwachten Nächte, die Panik vor den normalsten Alltagssituationen und die schreckliche Einsamkeit, die ich seit so vielen Jahren durchlebt hatte.
    Das alles würgte ich heraus, und Amy stand hinter mir und strich langsam und beruhigend über meinen Rücken.
    Noch immer wütend, schob ich sie zunächst mit meinem Ellbogen weg. Sie ließ sich nicht abwimmeln.
    »Es ist gut, Engel. Ich bin bei dir«, flüsterte sie mir immer wieder zu.
    Minuten später und erst, als ich mich langsam beruhigte, bat sie

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