Deine Seele in mir /
trafen.
»Komm!«, forderte sie mich schließlich auf und zupfte dabei an beiden Seiten meiner geöffneten Jacke.
Hand in Hand schlenderten wir zu dem kleinen Bach, der auch an jenem schrecklichen Morgen unser eigentliches Ziel gewesen war. Ein Ziel, das wir nicht mehr erreicht hatten. Doch nun standen wir nebeneinander an dem schmalen Strom – sie vor mir, den Rücken fest gegen meine Brust gedrückt, den Blick auf das Wasser gerichtet. Und als hätte es die Wunden unserer Seelen endgültig reingewaschen, konnte ich plötzlich wieder tief durchatmen. Genießerisch füllte ich meine Lungen mit der feuchten, frischen, sauberen Luft. Amy wandte sich mir zu und beobachtete mich lächelnd.
»Du wolltest meinetwegen hierhin«, stellte ich flüsternd fest.
Sie nickte. »Du bist nicht böse, oder? Ich wusste, dass du derjenige warst, der von uns beiden mehr gelitten hat. Du hast diese Erlebnisse nie verarbeitet. Es war an der Zeit, nicht nur die Kruste deiner Wunden aufzukratzen, sondern endlich den Eiter herauszuquetschen, damit sie nach all den Jahren doch noch verheilen können.«
Ich nickte stumm. Amy kannte mich besser als sonst ein Mensch auf dieser Welt. Sie sah zu mir auf und schlang ihre Arme um mich. Dann reckte sie sich, legte ihren Kopf in die Kuhle zwischen meiner Schulter und meinem Hals und schmiegte sich eng an mich.
»Weißt du was, Matt? Im Sommer, wenn wir noch einmal nach Saint Toulouse kommen, gehen wir hier baden – um dieser Geschichte ein anderes Ende zu geben. Unser Ende.«
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XXIV. Kapitel
E s ist ein tränenreicher Abschied. Die gesamte Familie steht um mein Auto herum. Der Reihe nach fallen wir uns gegenseitig in die Arme. Die drei Schwestern weinen, und auch Evelyn, die anfangs noch versucht, Amy zuliebe die Fassung zu wahren, sieht angesichts ihrer schluchzenden Töchter irgendwann keinen Sinn mehr in ihrem Vorhaben und lässt schließlich auch ihren eigenen Tränen freien Lauf.
Peter und Sam pressen die Lippen tapfer aufeinander und halten sich etwas mehr im Hintergrund. Peter steht direkt hinter mir; väterlich legt er mir seine Hand auf die Schulter.
»Junge, ich danke dir«, sagt er. »Ich weiß, dass ich deinen Vater nicht einfach so hätte gehen lassen dürfen. Er war ein guter Freund, und wir hätten in Kontakt bleiben müssen, gerade in dieser schweren Zeit. Was wir getan haben, war falsch. Umso mehr freut es mich, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Wann immer du mich brauchst, Matt, kannst du auf mich zählen. Ich werde versuchen, all das an dir wiedergutzumachen, was ich an der Freundschaft zu Theo … zu deinem Vater … vermasselt habe.« Er reicht mir seine Hand und zieht mich an sich. »Pass auf meinen Sonnenschein auf!«, sagt er leiser, als wir uns gegenseitig auf die Schultern klopfen.
Ich nicke. Es ist ein Versprechen, und ich fühle mich geehrt durch sein Vertrauen.
Auch Sammy hält mir seine Hand hin und umarmt mich kurz. Und dann, völlig unverhofft, fliegt mir plötzlich die kleine Jenny in die Arme. »Ich will nicht, dass ihr fahrt. Ich hab dich doch lieb, Matty!«
Der Anblick ihres vertrauten Gesichtes rührt mich immer wieder aufs Neue. Sie ist Amy so ähnlich.
»Ich dich auch, Kleines«, erwidere ich leise.
»Du bist doch jetzt mein Onkel, oder?«, fragt sie mich und schaut hoffnungsvoll zu mir empor.
»Noch nicht so richtig«, gebe ich zu. Dann beuge ich mich zu ihr und flüstere ihr ein Geheimnis ins Ohr, das sie schnell wieder strahlen lässt.
Es sind so viele Sätze wie: »Wein nicht mehr, Schatz, wir sehen uns ja bald wieder«, oder: »Ruft sofort an, wenn ihr da seid, hört ihr?«, die uns vermitteln, was die Liebe einer Familie bedeutet.
Schweren Herzens finden wir den Weg ins Auto und fahren hupend davon. Die fünf Zurückgelassenen winken, bis sie hinter den hohen Bäumen des Wäldchens aus unserem Blickfeld verschwinden, als die Straße nach rechts wegknickt. Amy, die wieder aus dem offenen Fenster herausgewunken hat, lässt sich seufzend in ihren Sitz fallen.
»Puh«, macht sie und wischt sich eine letzte Träne aus dem Augenwinkel. »Das war härter, als ich dachte.«
»Ich weiß«, flüstere ich und greife nach ihrer Hand. »Du musst es aber so sehen: Vor einer Woche noch dachten die fünf, dass sie, so wie sie da eben standen, komplett wären. Nun wissen sie, dass sie sich geirrt haben. Du bist wieder in ihrem Leben. Das ist es doch, was wir erreichen wollten, oder?«
Amy nickt. »Ja, du hast recht. Und bis Ostern ist es
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