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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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mich in einem sehr liebevollen Ton erneut: »Was war deine größte Angst, Matty? Erzähl mir davon!«
    Mit diesen Worten reichte sie mir die Wasserflasche, die sie für unsere geplante Wanderung bei sich trug.
    Oder war es weise Voraussicht gewesen?
    Ich gurgelte, spuckte aus, trank einige Schlucke, gurgelte erneut gründlich und spuckte noch einmal aus.
    Das kühle Wasser tat gut. Die Übelkeit hielt zwar noch an, doch das Krampfen hörte schnell auf. Ich würde mich nicht mehr erbrechen müssen, dessen war ich mir sicher.
    Zornig stapfte ich davon. Nur weg von diesem Ort.
    Erst als ich den kleinen Wald durchkreuzt hatte und sich die Lichtung vor mir auftat, deren saftiges Grün von dem schmalen Bach durchzogen wurde, wandte ich mich Amy wieder zu.
    Noch immer tobte die Wut in mir.
    Doch dann sah ich diese sanften Augen und ihr Gesicht, auf dem sich aufrichtige Sorge spiegelte. Schlagartig wollte ich nichts mehr, als sie für immer zu halten. Resignierend ließ ich die Flasche fallen.
    Mit einem dumpfen Schlag knallte sie auf die moosdurchzogene Wiese. Und als wäre dieses Geräusch mein Startschuss gewesen, sprudelte es plötzlich nur so aus mir hervor:
    »Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren, Amy. Ich habe dich angefleht, nicht zu gehen. Ich habe gebettelt, du sollst bei mir bleiben! Und … als du tot warst … hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich davor fürchtete, auch zu sterben.«
    Während die Worte von meinen Lippen flossen, spürte ich ein leichtes Ziehen in meinen Augen, dem ich jedoch keinerlei Beachtung schenkte, bis ungehinderte Tränen über meine Wangen rannen.
    Ich hatte so lange nicht mehr geweint, dass ich das Gefühl vergessen hatte. Doch nun war die Erinnerung wieder da: Es befreit!
    »Es hätte mir egal sein sollen, aber obwohl du bereits tot warst … wollte ich weiterleben. Warum, habe ich nie verstanden.«
    Amy versuchte nicht einmal, mich zu stützen, als ich vor ihr zusammenbrach und unter der Last dieser Erinnerung wie ein kleines Kind schluchzte.
    Lediglich ihre Hände vergruben sich in meinen Haaren. Sie ließ sich vor mir auf die Knie herab und atmete tief durch. Es wirkte erleichtert. Dann erst nahm sie mich in ihre Arme. So fest wie sie konnte presste sie mich an ihren zierlichen Körper.
    »Ist ja gut, Engel! Es tut mir leid, was mit dir passiert ist. All das tut mir so leid. Aber ich bin nicht gegangen. Ich bin
immer
bei dir gewesen. Es hatte seinen Sinn, dass du leben wolltest. Wie hätte ich dich denn sonst finden sollen – wie hättest du
mich
finden sollen? Von nun an werden wir leben. Wir sind zusammen! Alles ist gut. Und deshalb werden wir all das Böse hier und jetzt zurücklassen, okay?Alles ist genauso, wie es sein sollte, hörst du?«
    Ja, ich hörte alles, doch ich wollte nicht antworten. Ich wollte sie nur halten – in diesem Moment und für den Rest meines Lebens.
    Amy streichelte meinen Kopf. Sie umklammerte meinen Nacken, während sie sanft und beruhigend meine Wangen küsste. Ihre Berührungen und die wahren Worte aus ihrem Mund verfehlten ihre Wirkung nicht. Langsam versiegten meine Tränen.
    Der Schmerz in meiner Brust wich einer tiefen Erleichterung, die meinen Atem und das heftige Schlagen meines Herzens beruhigte.
    Amy ließ ihre flache Hand unter mein Poloshirt gleiten, dort, wo die Knöpfe des Kragens offen standen. Warm spürte ich den Druck ihres Handballens und ihrer Fingerspitzen auf meinem Brustbein, und diese Wärme – ihre Wärme – ließ auch die leisen, unkontrollierbaren Schluchzer, die sich mir von Zeit zu Zeit noch entrangen, schließlich verstummen.
    Die Übelkeit war verflogen, ebenso die Kopfschmerzen.
    Jeder Schmerz war vergessen.
    Zurück blieb eine unbekannte Leere, und plötzlich fühlte ich mich, als würde ich in ein tiefes Loch fallen. Doch dann stellte ich fest, dass es kein unangenehmes Gefühl war. Es war eine Leere der positiven Art, es war … Befreiung.
    Von dieser Erkenntnis erleuchtet, sah ich Amy an.
    Sie schien für meinen Blick keine Erklärung zu benötigen; verständig lächelte sie.
    Ihre Augen schmolzen, das helle Grün verflüssigte sich und wirkte mit einem Mal unergründlich tief. Sie erhob sich und zog mich mit sich. Ich umklammerte ihre Taille und zog sie fest an mich. Es hätte mir unangenehm sein müssen – hatte ich doch vor wenigen Minuten noch über den Büschen gehangen – doch ich verschwendete keinen Gedanken mehr an das soeben Geschehene, als ihre Lippen unglaublich sanft auf meine

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