Deine Seele in mir /
Motor, ohne dabei den Blick von ihr abzuwenden.
Für den Rückweg nehmen wir die direkte Route durch das Landesinnere. Es spart uns fast einen Tag, nicht an der Küste entlangzufahren. Auf diese Weise konnten wir noch einen Tag länger mit Amys Familie verbringen. Außerdem liegt der kleine Ort, in dem Kristins Schwester Diane und ihr Mann Wilson leben, genau auf unserer jetzigen Route. So können wir unser Versprechen wahrmachen und die beiden besuchen.
Ich weiß, wie enttäuscht Kristin wäre, wenn wir es nicht täten. Schließlich ist Diane die Einzige, die Kristin und Tom in all den einsamen Jahren ab und zu unter die Arme gegriffen hat. Ihre Besuche waren immer die Höhepunkte des Jahres gewesen.
Wenig später ist der kleine Ort, den Kristin uns mit einem Neonmarker auf der Karte gekennzeichnet hatte, bereits ausgeschildert. Mehrfach versuchen wir, unseren Besuch telefonisch anzukündigen, doch es meldet sich niemand.
Amy ist recht schweigsam. Versonnen blickt sie aus dem Fenster und lässt ihren Daumen dabei über meine Hand auf dem Schaltknüppel kreisen. Wie so oft hat sie die Unterlippe zwischen ihren Zähnen eingeklemmt und kaut leicht darauf herum.
Wo ihre Gedanken sie wohl hingetragen haben? Ich frage sie nicht, ich bestaune sie nur von Zeit zu Zeit und genieße ihre Nähe, die ich noch immer nicht als selbstverständlich hinnehmen kann. Sie wird immer das größte Wunder meines Lebens bleiben.
Meines!, schießt es mir stolz durch den Kopf, als ich sie so beobachte. Denn sie hat »Ja« gesagt.
Amy Marie Charles möchte tatsächlich meine Frau werden.
Als wir das Ortsschild passieren, liest mir Amy die Adresse ihrer Tante vor. Dieses Dorf ist tatsächlich noch kleiner als Saint Toulouse, und so finden wir das rot-weiße Haus mit dem markanten Erker, der Toms Begeisterung geweckt hatte, recht schnell.
Hand in Hand laufen wir über den Kopfsteinpflasterweg, der uns direkt auf die rote Haustür zuführt. Es ist ein gepflegtes kleines Haus, und auch der Vorgarten könnte kaum akkurater gestaltet sein. In kleinen Beeten blühen bereits die ersten Tulpen, bunt bepflanzte Blumenkästen zieren die Fensterbänke.
Das Bild dieses Hauses erinnert mich an die alten Wohn-Zeitschriften, die meine Mutter so gerne durchblätterte.
Wir schellen an der Tür, doch nichts tut sich. Auch ein zweites Läuten verhallt scheinbar ungehört. Als wir uns gerade wieder zum Gehen wenden wollen, blickt Diane um die Hausecke.
»Hab ich doch richtig gehört. Ich war hinten im Garten, entschuldigen Sie!«
Sie scheint uns noch nicht erkannt zu haben. Lächelnd kommt sie auf uns zu und streift sich dabei die erdverkrusteten Gummihandschuhe ab. Offensichtlich haben wir sie beim Pflanzen gestört.
»Hallo, Tante Diane«, sagt Amy freundlich.
Diane blickt gegen die Sonne, die um diese Uhrzeit noch sehr tief steht, und kneift die Augen ein wenig zusammen. Jäh erkennt sie, wer vor ihr steht.
Die Handschuhe fallen auf den schmalen Weg. »Julie? Bist du das wirklich, Kind?« Langsam geht sie auf ihre Nichte zu und fasst sie bei den Händen, ohne ihren fassungslosen Blick auch nur für eine Sekunde von Amy zu nehmen. »Kristin hat mir ja erzählt, dass du … erwacht bist, aber dass du jetzt wirklich so völlig …
normal
bist – so recht konnte ich das nicht glauben. Ich fasse es nicht!«
Amy scheint die ständige Ungläubigkeit langsam zu ermüden, denn sie schweigt und schenkt ihrer Tante ein ziemlich steifes Lächeln. Diane verunsichert dieses Schweigen. »Sie hört mich doch, oder?«, raunt sie mir zu, ohne dass wir uns bisher überhaupt begrüßt hätten.
»Natürlich höre ich dich.« Nun lacht Amy doch und drückt ihre überrumpelte Tante kurz an sich.
Nachdem sie sich von ihrem Schock erholt hat, führt Diane uns ins Haus. Wir setzen uns an die Theke der großen, hellen Küche. »Wilson wird sich freuen, dich zu sehen, Julie«, behauptet Amys Tante. »Ich weiß nicht, wie weit du über uns Bescheid weißt, aber ...«
Amy wartet nicht erst ab, bis ein peinliches Schweigen entsteht, sie beantwortet Dianes eigentliche Frage sofort. »Dich habe ich einige Male bewusst gesehen, aber an Onkel Wilson, muss ich gestehen, habe ich keine Erinnerungen.«
»Das ist auch nicht weiter verwunderlich«, erklärt Diane, während sie uns eine Schüssel mit Keksen hinstellt und dazu frische Mich in viel zu große Gläser gießt.
Lange hatte ich den Luxus vergessen, den die Fürsorge einer Familie bedeutet. Doch nach den vergangenen
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