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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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regt sich, sie blinzelt nicht einmal.
    Auf skurrile Weise wirkt sie wie eine der perfekten Nachbildungen aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett.
    Was, um Gottes willen, ist geschehen?
    Wie der Teufel heize ich über die Straßen, immer weiter, bis wir am späten Abend das kleine blaue Haus erreichen.
    Der Schnee ist mittlerweile fast vollständig getaut. Die Straßen sind nass, und es regnet stark, als wir ankommen.
    Kristin und Tom stürmen aus dem Haus, als hätten sie seit Stunden hinter dem Fenster auf uns gewartet. Nur ein Blick in ihre Gesichter verrät mir, dass sie bereits Bescheid wissen.
    »Matt, mein Gott, wie geht es ihr?«, ruft Kristin panisch; Tom reißt bereits die Beifahrertür auf.
    Müde und traurig schüttele ich den Kopf. Sofort schlägt Kristin die Hände vor dem Mund zusammen.
    »Habe ich euch nicht gewarnt, dass so etwas passieren würde? Habe ich es nicht gesagt?« Tom flucht vor sich hin, während er Amy auf seine Arme wuchtet und sich dann langsam, auf eine rückenmordende Weise, wieder mit ihr aufrichtet.
    »Himmel, was ist …?« Er blickt auf seine Hände herab, dann sieht er mich tadelnd an. »Matt! Sie ist
nass
…« Kopfschüttelnd trägt er seine Tochter an mir vorbei.
    »Du hättest nicht mit ihr fahren sollen. Es war zu früh«, sagt nun auch Kristin mit erstickter Stimme und wendet sich ab.
    Ich fühle mich wie ein geprügelter Hund. Automatisch bleibe ich im strömenden Regen stehen, völlig unschlüssig darüber, ob ich in diesem Haus überhaupt noch erwünscht bin.
    An der Türschwelle dreht sich Kristin um und winkt mir zu. Ihre Bewegungen sind nach wie vor anmutig, wirken jedoch schlaff und kraftlos, wie ihre Stimme. »Komm, Junge, es regnet so stark. Du erkältest dich noch, komm schon rein! Ich mache uns einen Tee, dann sehen wir weiter.«
    Sie legt ihren Arm um mich, als ich mit gesenktem Kopf an ihr vorbeigehe. Die Geste hat etwas Tröstendes an sich.
    Tom hat Amy hochgetragen. Er wird ihr wohl etwas anderes anziehen. Wie konnte mir
das
entgehen?
    »Es tut mir leid, dass sie … nass ist. Ich habe gar nicht daran gedacht anzuhalten. Ich wollte nur so schnell wie möglich zurück«, gestehe ich verlegen und gleichermaßen verwirrt.
    Amy konnte uns bisher immer deutlich zu verstehen geben, wenn sie auf die Toilette musste. Den Bedürfnissen ihres Körpers war sie immer selbständig nachgekommen.
    Das war eine der Eigenarten, die sie von vielen anderen schwer autistischen Menschen unterschieden hatte.
    Auch Kristin scheint zu grübeln. Sie schiebt mich vor sich her in die Küche und schließt die Tür hinter uns.
    »Hat sie sich denn gar nicht bemerkbar gemacht? Irgendwie?«
    »Ehrlich gesagt: Nein! Sie rührt sich überhaupt nicht mehr. Kein Wippen, kein Singsang, nichts. Gar nichts! Ich habe keine Ahnung, was passiert ist.«
    Kristin spürt meine Verzweiflung. Sofort regt sich ihr mütterliches Herz. Sie setzt sich neben mich und legt mir einen Arm um die Schulter.
    »Du hättest sie sehen sollen, Kristin.« Vergeblich schlucke ich an dem dicken Kloß in meinem Hals. »Sie war das blühende Leben – die ganze Zeit über. Wir sind auf einen Berg gestiegen und haben in einer Disco getanzt. Amy hat sogar
mich
zum Tanzen gebracht. Nach all dem, was wir in diesen Tagen gemeinsam durchgemacht haben, hatte ich nicht die leisesten Bedenken, sie bei Diane und Wilson für einen Moment allein zu lassen. Sie war nur auf der Toilette. Es waren höchstens drei oder maximal vier Minuten.«
    Meine Erklärung klingt mehr wie eine Entschuldigung. Doch alles, was ich sage, entspricht der Wahrheit. Amy war mir so normal und gefestigt vorgekommen, dass sich meine letzten Zweifel und Bedenken innerhalb dieser vergangenen Woche in ein großes Nichts aufgelöst hatten. Und nun das.
    Tom erscheint im Türrahmen. Er ist immer noch ziemlich aufgebracht, wie ich an seinen geblähten Nasenflügeln und den zusammengepressten Lippen erkennen kann – noch bevor seine bebende Stimme den kleinen Raum erfüllt.
    »Verdammt noch mal, sie ist wieder weit weg und dazu noch steif wie ein Brett. Wie konnte das nur passieren, Matt?«
    Ich schildere den Vorfall mit Wilson, und Tom scheint sich währenddessen etwas zu beruhigen. Als ich fertig bin, schaut Kristin mit einem Schulterzucken zu ihrem Mann auf.
    »Das hätte überall passieren können, Tom.« Resigniert schüttelt sie den Kopf. »Sie hat sich einfach erschreckt. Dr. Madock hatte uns gewarnt, dass so etwas jederzeit passieren könne. Er hat auch

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