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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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gesagt, dass sie in einen noch schlimmeren Zustand als zuvor fallen könne.«
    »Ach, was weiß Dr. Madock denn schon?«, wehrt Tom mit einer abfälligen Handbewegung ab. »Dieser Mann hat uns zwanzig Jahre lang erzählt, dass wir eine geistig zurückgebliebene Tochter haben. Und all die Ratschläge, die er uns in dieser Zeit gab, waren für die Katz!«
    Dann wird sein Ton ruhiger. Fast sanft sieht er mich an und legt mir eine Hand auf die Schulter, so wie auch Peter es noch morgens bei mir getan hatte. Doch das unbeschwerte Glück der vergangenen Tage scheint in diesem Moment mindestens so ungreifbar weit weg zu sein wie Amy selbst.
    »Es tut mir leid, Matt! Meine Verzweiflung ist eben mit mir durchgegangen. Du kannst nichts dafür, Kristin hat recht. Es ist nicht deine Schuld, Junge.«
    Stumm nicke ich vor mich hin. Ich bin Tom nicht böse, ich kann ihn sogar recht gut verstehen. »Wo ist Amy jetzt?«, frage ich leise.
    »In ihrem Zimmer. Ich habe sie ins Bett gelegt. Sie muss müde sein nach dieser langen Fahrt«, erwidert Tom niedergeschlagen.
    »Ich … darf ich …« Unsicher deute ich auf die Treppe.
    Kristin nickt. »Natürlich. Geh nur! Ich mache Sandwiches und bringe sie euch hoch.«
    Amy liegt regungslos auf ihrem Bett. Sie schläft nicht, sie starrt nur an die Decke. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, sie sei tot, so entrückt wirkt sie auf mich. Ich setze mich neben sie und halte ihre Hand.
    »Amy«, starte ich einen erneuten, vorsichtigen Versuch, Kontakt zu ihr aufzunehmen. »Süße, bitte! Irgendetwas … gib mir irgendetwas. Drück meine Hand oder … blinzle wenigstens, wenn du mich hörst. Amy? Bitte!«
    Nichts.
    Ich streichele ihre Hand und ihre Haare, doch sie ist nicht da. Starr sieht sie durch alles hindurch, was ihr vor die Augen kommt. Es ist zum Verzweifeln.
    »Wir kriegen das hin. Du wirst leben, Amy! Richtig leben, so wie in den letzten Wochen, das verspreche ich dir.« Zärtlich presse ich ihre kühle Hand an meine Wange und küsse jeden einzelnen ihrer Fingerknöchel. Zu spüren, dass sie plötzlich kälter ist als ich, ist nicht gut. Das ist einfach nicht richtig.
    Kristin bringt uns die angekündigten Sandwiches, und schon bald sehen wir uns einer neuen, bislang unbekannten Schwierigkeit ausgesetzt: Amy isst nicht. Sie öffnet nicht einmal ihren Mund, auch nicht, als wir gemeinsam versuchen, ihr etwas Flüssigkeit einzuflößen.
    Tom, den Kristin schließlich verzweifelt hinzuholt, fällt nur eine Möglichkeit ein. Er holt eine große Spritze und träufelt Amy langsam kleine Mengen Tee in den Rachen. Es ist schrecklich für mich, all das mit ansehen zu müssen.
    Kristin muss ein Tuch unter Amys Kinn halten, denn wenn Tom nur ein wenig zu stark auf die Spritze drückt, fließt die Flüssigkeit ungehindert an Amys Mundwinkeln heraus. Unbeachtete Tränen rollen über meine Wangen, als ich das sehe. Wie ein Schlag trifft mich meine eigene Hilflosigkeit, und ich fühle mich so alleingelassen.
    »Das Essen kann warten«, beschließt Tom, dessen Stärke ich aufrichtig bewundere. »Es ist nicht so schlimm, wenn sie mal einen halben Tag lang nichts isst. Morgen früh holen wir den Arzt und beratschlagen, was wir tun sollen.« Seine Stimme klingt monoton und niedergeschlagen. Kristin nickt stumm, mit herabhängenden Schultern.
    Amy liegt bereits in ihrem Pyjama im Bett, und so verabschieden sich Tom und Kristin schließlich mit einem derart traurigen: »Gute Nacht, ihr zwei«, dass mir der gesamte Brustkorb vor Mitleid schmerzt.
    Sie hatten sich so auf diesen Abend des Wiedersehens gefreut. Unter anderen Umständen säßen wir nun unten und würden endlich von all den unglaublichen Erlebnissen erzählen, die uns widerfahren sind. Amy würde mit funkelnden Augen vom Pazifik berichten und von dem hohen Berg, den wir erklommen haben.
    Wir hätten das Video von ihrer Familie in Saint Toulouse zeigen können, und wahrscheinlich sogar schon Pläne für den anstehenden Besuch ihrer Schwester gemacht.
    In meiner Vorstellung strahlt Amy dabei so ausgelassen und unbeschwert über das ganze Gesicht, dass es mir schwerfällt, zurück in die Realität dieses halbdunklen Zimmers zu kommen, in dem sie reglos neben mir liegt und ihr süßes Gesicht eher einer ausdruckslosen Totenmaske gleicht.
    Schnell krame ich meinen Pyjama aus einem unserer großen Koffer und mache mich bettfertig.
    Nachdem ich behutsam unter die Bettdecke gekrochen bin, drehe ich Amy vorsichtig auf die Seite. Langsam und

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