Deine Seele in mir /
einen anderen Arzt. Wir brauchen eine Zweitmeinung«, beschließt Tom wütend, nachdem sich Amy ein weiteres Mal übergeben hat. Er sitzt am Bett seiner Tochter und streicht eine verschwitzte Haarsträhne aus ihrem blassen Gesicht.
Kristin beißt sich auf der Unterlippe herum und ringt stumm und tapfer mit den Tränen, die bereits in ihren Augenwinkeln schimmern. Ich kämpfe eine Weile gegen das Bedürfnis an, ihre Hand zu nehmen, doch dann werfe ich alle Zurückhaltung über Bord und tue es einfach. Langsam blickt Kristin zu mir auf; dann erwidert sie den Druck meiner Hand und schenkt mir ein Lächeln, das liebevoller nicht sein könnte.
Mary, die wieder einmal zu Besuch ist, sieht zunächst genauso besorgt auf Amy wie wir anderen auch, doch dann dreht sie mir plötzlich ruckartig ihren Kopf zu.
Durchdringend sieht sie mich an, knabbert an dem Fingernagel ihres linken Ringfingers und hibbelt so lange von einem Bein auf das andere, bis Tom und Kristin das Zimmer verlassen haben.
Nur eine Sekunde, nachdem sich die Tür hinter den beiden geschlossen hat, lässt sie sich neben mir nieder.
»Matt, ihr habt doch nicht … habt ihr etwa … ich meine … habt ihr miteinander geschlafen, Matt?«
Es trifft mich wie ein Schlag. Warum habe ich nicht früher schon daran gedacht. Mein Kopf schießt hoch, ich schaue Mary direkt in die Augen. Diese, vor Schock nur so strotzende Reaktion ist vollkommen ausreichend für sie.
»Oh, mein Gott!« Mary sieht mich entsetzt an. »Habt ihr denn nicht …«
Ich schüttele mit dem Kopf. Nein, haben wir nicht. Warum eigentlich nicht? Warum war es uns noch nicht einmal in den Sinn gekommen zu verhüten?
»Ich könnte fast wetten, dass es das ist, Matt! Sie ist bestimmt schwanger.«
Mein Herz hämmert wie verrückt, als Mary die Worte ausspricht. Kann das wirklich sein? Ja, natürlich kann es das, und genau das wird es auch sein, das spüre ich.
Wieder fällt mein Blick auf dieses regungslose Geschöpf vor uns. Amy ist schrecklich blass. Sie sieht so schwach und gleichzeitig so schön aus, dass ihr Anblick mir fast das Herz bricht. Nicht anders kann sich der Märchenprinz gefühlt haben, als er Schneewittchen in ihrem gläsernen Sarg vorfand: ebenso fasziniert, ebenso hilflos.
Was, wenn sie wirklich schwanger ist? Momentan würde sie nicht mal etwas davon mitkriegen.
»Oh, Matt, was machen wir denn jetzt?«, fragt Mary seufzend, doch ich bin nicht in der Lage, ihr zu antworten. Zu sehr beschäftigt mich der Gedanke dieser möglichen Schwangerschaft.
Mary lächelt mich von der Seite aus an. Wie lange sie das schon tut, weiß ich nicht, doch plötzlich fällt es mir auf.
»Hm?«, frage ich, doch sie zuckt nur mit den Schultern, beugt sich vor und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
»Ich bin so froh, dass Amy den Bann gebrochen hat, Matt«, gesteht sie mir leise. »Sie war wahrscheinlich die Einzige, die das jemals hätte schaffen können.«
»Ja!«, erwidere ich und greife nach Marys Hand.
»So, und ich fahre jetzt zur Apotheke«, beschließt sie schnell, springt auf und zieht sich ihre Jeansjacke über. »Schwangerschaftstest«, erklärt sie, als ich fragend zu ihr aufschaue. Schon stürmt sie aus dem Zimmer.
Nur Sekunden später höre ich, wie der Motor ihres Autos aufheult. Sie fährt einen alten Mini, dessen Auspuff so lose ist, dass das Scheppern bereits aus zwei Meilen Entfernung ihre Ankunft verrät.
Amy und ich bleiben zurück. Die Stille im Raum hat etwas Wohltuendes an sich. In meiner Nervosität beginne ich, ihre steinharten Beine zu massieren. Es klingelt an der Tür, und kurz darauf tippelt Mary auf ihren Stöckelschuhen die Treppe hoch. Stolz streckt sie mir die Packung entgegen.
»Da, bitte!«
Zögerlich nehme ich die schmale, längliche Schachtel an mich.
»Entschuldige, wenn ich mich blöd anstelle, Mary. Ich kenne mich damit nicht aus, aber ...«
»Packungsbeilage«, wirft sie schnell ein.
»Nein, lass mich ausreden!«, fordere ich lächelnd. »Also, ich kenne mich zwar nicht so recht damit aus, aber … muss man nicht auf diesen Streifen … na ja … pinkeln? Was stellst du dir vor, wie das gehen soll?« Mit dem Kinn deute ich auf Amy.
Mary verdreht die Augen, als hätte ich sie mit meinen dreißig Jahren gerade gefragt, ob der Weihnachtsmann denn wirklich am Nordpol lebt.
»Ach, Matt!« Sie seufzt und reißt mir die Packung wieder aus der Hand. Dann zieht sie den Teststreifen aus der Schachtel und liest sich die Kurzanleitung auf der Rückseite
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