Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
Vom Netzwerk:
extrem kalt. Wie ein verängstigtes Kind, das man zur Strafe in den Keller geschickt hat, hocke ich hier. Ich atme noch immer flach und viel zu schnell – eine ausgereifte Panikattacke also, Hyperventilation inklusive.
    Letztlich ist es wohl der Schmerz, der mich aus den düsteren Tiefen zurück an die ebenso unfreundliche Oberfläche zieht. Das Brennen meiner Daumen überschattet sogar den Schmerz in meinem bebenden Brustkorb. Mit den Nägeln meiner Zeigefinger habe ich mir die Innenseiten meiner Daumen aufgekratzt, bis aufs blanke Fleisch.
    Verdammt!
    Der alte Zwang ist wieder da, meine Hände sind blutverschmiert, genau wie meine Jeans, und auch der Fußboden ist befleckt.
    Ich versuche einige tiefe Atemzüge – sogar die Luft riecht nach meinem getrockneten Blut – bis ich mich endlich in der Lage sehe aufzustehen.
    Meine Knie zittern, ich fühle mich schwach. Langsam schleppe ich mich ins Bad. Das Wasser und die Seife brennen höllisch in den Wunden, doch nicht genug, um meine innere Leere mit dem Schmerz anzufüllen, was eine Erleichterung gewesen wäre.
    Still beiße ich die Zähne zusammen.
    Nein, Händewaschen allein reicht nicht. Ich entkleide mich völlig und steige unter die Dusche. Natürlich ist mir bewusst, dass ich die bösen Geister meiner Vergangenheit, die mich vorhin so heimtückisch aufgesucht haben, nicht einfach von mir waschen kann. Doch unter dem rauschenden Strahl des warmen Wassers schaffe ich es wenigstens, all die Bilder und Gedanken in meinem Kopf zu ordnen.
    Wie kann das sein? Woher nahm Julie die Inspiration, ausgerechnet dieses Bild zu malen? Kann sie meine Gedanken lesen? Kann sie in meinen Kopf schauen? Was ist ihr Geheimnis?
    Da ich all diese Fragen nicht klären kann, versuche ich, mich zunächst nur auf die Fakten zu konzentrieren, um das Surren in meinem Schädel in den Griff zu bekommen.
    Julie hatte das kleine Dorf gemalt, in dem ich geboren und die ersten Jahre meines Lebens aufgewachsen war. Dieses Dorf liegt gute neunhundert Meilen südöstlich von hier. Julie hat nur selten ihr Haus verlassen, geschweige denn das Grundstück.
    Dieses Mädchen auf dem Bild – das war eindeutig Amy.
    Die Zöpfe, das Kleid, der Strohhut, das Lachen. Es gibt keinen Zweifel. Der Junge, der ihr mit ausgebreiteten Armen hinterherlief, war unverkennbar ich selbst. Sogar meine Lieblingshose mit den auffällig roten Taschen war auf Julies Gemälde festgehalten.
    Die Frage, die nach dieser Erfassung der Fakten als die wichtigste übrig bleibt, ohne das Surren in meinem Schädel auch nur annähernd zu mindern, ist: Woher nahm Julie die Inspiration für dieses Bild? Woher nur?
    Ich stelle das Wasser ab und steige aus der Dusche. Was verwirrt mich eigentlich mehr? Die Tatsache,
dass
Julie dieses Bild gemalt hat, oder all die furchtbaren Erinnerungen, die in ihm aufleben? Ich weiß es nicht. Die Situation an sich ist einfach nur schrecklich. Ich fühle mich mit so vielem konfrontiert, von dem ich gehofft hatte, längst schon damit abgeschlossen zu haben. Nun jedoch ist es schier unmöglich, der Masse der in mir aufflackernden Erinnerungen und Bilder Herr zu werden.
    Meine Hände zittern, und ein Blick in den unbarmherzigen Spiegel verrät mir, dass ich aussehe wie ein wandelnder Toter. Das Klingeln an der Tür reißt mich glücklicherweise aus meinen Gedanken, bevor ich in eine erneute Panikattacke verfallen kann. Wie mechanisch setze ich einen Fuß vor den anderen und realisiere erst im letzten Moment – als meine Hand schon auf dem Türknauf liegt – dass ich nach wie vor völlig nackt bin. Schnell laufe ich zurück ins Bad und wickle mir in Windeseile ein Handtuch um die Hüften. Dann öffne ich die Tür, ohne vorher durch den Spion zu schauen.
    Es ist Kristin.
    »Wer ist bei Julie?«, frage ich automatisch, ohne sie überhaupt zu begrüßen.
    Sie lächelt, ohne ihre Augen zu bemühen, allerdings. »Siehst du, das ist es, was ich so an dir liebe, Matt. Julie ist gut betreut, mach dir mal keine Gedanken. Meine Schwester ist nur Minuten, nachdem du aus dem Haus gestürmt bist, mit ihrem Mann angekommen.«
    Kristin tritt ein und legt mir eine ihrer kühlen Hände an die Wange. In ihren Augen spiegelt sich Sorge wider. »Wie geht es dir, mein Junge? Du siehst ... nicht gut aus.«
    Das ist die Untertreibung des Jahrzehnts.
    Ich zwinge mir ein gequältes Lächeln ab und zucke die Achseln. Kristin nickt mit zusammengekniffenen Lippen, die ihren Mund in eine schmale, gerade Linie verwandeln. Zögerlich

Weitere Kostenlose Bücher