Deine Seele in mir /
und geschwiegen haben.«
Sie zögert kurz, doch dann fährt sie fort. »Matt, ich weiß kaum etwas von dir. Ich habe versucht, mehr über dich zu erfahren, aber du hast mich nicht an dich herangelassen. Es ist okay so, wirklich. Ich meine, natürlich wäre es schön, wenn du manchmal auch etwas von dir erzählen würdest, aber andererseits muss ich gar nicht mehr über dich erfahren, um zu erkennen, was für ein guter Mensch du bist. Du bist ... fast schon
zu
gut für diese Welt, Matt. Das weiß ich wohl.«
Ihre Stimme klingt unglaublich sanft; erneut erinnert sie mich an meine Mutter. Doch dann ändert sich der Tonfall wieder, auch ihr Gesichtsausdruck wird ernster.
»Es gibt aber etwas, das ich wissen
muss
«, sagt sie mit einer bisher fremden Bestimmtheit. »Bei allem Respekt vor deiner Privatsphäre, bitte ich dich dennoch, mir zu erzählen, was du bei Julies erster Massage gesehen hast. Und was hat das Motiv auf ihrem Gemälde mit dir zu tun? Was hat sie gemalt, was wir nicht erkennen, Matt?«
Erschrocken ziehe ich meine Hände zurück. Die Panik in meinem Blick bleibt Kristin nicht verborgen, ihre Stimme wird wieder sanft.
Noch sanfter als zuvor.
Sie greift erneut nach meinen Händen und lässt ihre Daumen zärtlich darüber kreisen. »Matt, Süßer ...« Das Kosewort klingt völlig natürlich aus ihrem Mund. »Meine Tochter ist eine Savant, sagen sie. Mit ihr haben wir schon viele Dinge erlebt, die andere Menschen als Wunder bezeichnen würden. Ich persönlich glaube nicht an Wunder. Ich glaube aber, dass Isaac Newton ein sehr schlauer Mann war.
Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ist ein Ozean,
hat er gesagt. Ich bin überzeugt davon, dass er recht hatte. Es gibt unglaublich viel, was wir nicht wissen, geschweige denn verstehen. Und es war Julie, die meinen Horizont und meine Sichtweise auf diese unbekannten Dinge so erweitert hat. Das ist das Geschenk meiner Tochter an mich. Bitte, Matt, hab keine Angst, mir zu erzählen, was du weißt.«
Ich schlucke. Hart. Es vergehen noch etliche stille Sekunden, bis mir klar wird, dass ich der Aufrichtigkeit ihrer Bitte nichts zu entgegnen habe – nichts als die Wahrheit. Also nicke ich.
Kristin ist so ehrlich mir gegenüber.
Offen, wie ein aufgeschlagenes Buch, sitzt sie vor mir und lässt mich bereitwillig in ihrem Leben lesen. Bereits in den vergangenen Wochen hatte sie nicht eine einzige meiner Fragen unbeantwortet gelassen. Ihre momentane Sorge gilt natürlich nicht nur mir, sondern hauptsächlich ihrer Tochter, und so bin ich ihr wohl eine Antwort schuldig.
Schlagartig, es ist wie ein Geistesblitz, weiß ich genau, auf welche Art ich ihr am besten antworten kann.
»Warte einen Augenblick!« Schnell verschwinde ich in meinem Schlafzimmer. Als ich realisiere, dass das locker um meine Hüften geschlagene Handtuch nach wie vor alles ist, was mich von einem vollkommen nackten Mann unterscheidet, streife ich mir zunächst Unterwäsche, meine zerschlissene Lieblings-Jeans und den erstbesten Pullover über, der mir zwischen die Finger kommt. Dann erst knie ich mich vor mein Bett.
Ein großer, eingestaubter Karton steht darunter.
Seit über einem Jahrzehnt ist er verschlossen, nun ziehe ich ihn hervor und reiße das Packband ab. Ich atme tief durch, bevor ich die Seitenlaschen aufklappe. Mein Magen zieht sich zusammen, und meine Finger zittern, doch nach und nach entnehme ich den Inhalt und schichte all die objektiven Belanglosigkeiten neben dem Karton auf, ohne ihnen mehr Beachtung zu schenken als unbedingt nötig.
Ganz unten endlich stoße ich auf das dunkelblaue Fotoalbum. Ich schließe meine Augen und verharre eine Weile, um meinen Atem und mein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu bringen, dann greife ich danach und erhebe mich langsam. Schwerfällig trotte ich zurück ins Wohnzimmer. Wie von den Beinen eines alten Mannes getragen, zittrig und schwach, ziehe ich die Füße hinter mir her.
Kristin sieht mich erwartungsvoll an. Sie knetet ihre Finger und gibt mir anhand dieser ungewohnten Geste eine Ahnung auf ihre Anspannung. Stumm reiche ich ihr das Album.
Sie erwidert mein Schweigen. Lediglich im Blick versichert sie sich, meine Geste richtig gedeutet zu haben. Auf mein Nicken hin schlägt sie die erste Seite auf.
Ich muss nicht hinsehen, also wende ich meinen Blick ab und warte. Ich kenne die Bilder, über die Kristins Blick nun gleitet, nur zu genau: ein speckiger Babyjunge in der Badewanne ... eine dunkelhaarige Frau, die den
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