Deine Seele in mir /
wäre.
Das Eis, auf dem wir uns bewegen, ist so unglaublich dünn.
»Ich bin da«, sagt sie leise.
Beschwichtigend fasse ich ihre Hände und streichele sie. »Wir schaffen das alles! Beide bekommen ihren Platz in deinem Herzen. Sie hatten bisher schon so viel Geduld mit dir, dass sie auch das noch bewältigen werden. Und glaube mir, du wirst lernen, sie zu lieben. Selbst ich habe sie in mein Herz geschlossen. Und das will was heißen.«
Amys Augen durchbohren mich, so prüfend wird ihr Blick. »Fällt es dir so schwer zu lieben, Matty?«
Mit ihrer direkten Frage trifft sie genau meinen wunden Punkt. Nun ja, zumindest einen davon. Mir bleibt nichts anderes übrig als zu nicken.
»Sehr.«
In diesem Moment, gerade, als meine Stimme unter dem einen Wort versagt, hören wir, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht. Nur einen Moment später erscheint bereits Toms Mütze im Türspalt.
»Oh, Gott!« In Amys Augen wird die aufsteigende Panik sichtbar. Der Griff meiner Hände festigt sich. »Amy! All die Vorstellungen, in die du flüchten willst, sind nicht real. Bleib bei mir. Lass uns leben. Lauf nicht weg, ich bitte dich.« Ich drücke ihre Hände und sehe sie flehend an. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich bereits beobachten, dass Tom und hinter ihm auch Kristin wie erstarrt im Flur stehen geblieben sind.
Ohne meinen Blick von Amy zu lösen, beginne ich langsam und nur so laut wie unbedingt nötig zu sprechen. »Hallo, ihr beiden. Hier ist jemand aus einem sehr, sehr langen ... Schlaf erwacht. Wollt ihr Amy nicht hallo sagen?«
Langsam und nur sehr zögerlich nähern sich die beiden.
»Wenn es dir zu viel wird, Amy, wenn du das Gefühl bekommst, weglaufen zu wollen, dann drück fest meine Hände, hörst du? Ich halte dich. Ich bin da.« Mein Flüstern erreicht nur sie.
Amy nickt und hält meinen Blick noch eine Weile, doch dann löst sie ihn von mir, wendet langsam ihren Kopf ab und schaut in Kristins liebevolles Gesicht. Nicht einmal der Schock, der ihr deutlich anzusehen ist, vermag es, Kristins natürliche Anmut zu mindern. Wie eine schleichende Katze, behutsam und lautlos, bewegt sie sich auf ihre Tochter zu. Tom, nur einen halben Meter hinter ihr, wirkt fast schon plump gegen seine Frau.
»Hallo!«, sagt Amy sehr leise, und sofort sackt Kristin mit einem Schluchzen vor ihr auf die Knie. Bereits jetzt hätte ich einen festen Händedruck erwartet, doch Amy bleibt erstaunlich entspannt. Sie befreit sogar eine ihrer Hände aus meinem Griff und streicht damit über Kristins Schulter. »Nicht weinen. Bitte. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch so viel Kummer gemacht habe. Ich versuche, bei euch zu bleiben. Aber ... ich brauche Matty dazu.«
»Ja, ich weiß!« Kristin weint. Vergeblich ringt sie um Fassung. »Liebling, ich ... darf ich dich ...«
Und in diesem Moment löst Amy auch ihre andere Hand aus meiner und umschließt Kristin mit beiden Armen. »Danke für alles«, flüstert sie.
Kristin kann ihr hemmungsloses Schluchzen nun endgültig nicht mehr zurückhalten.
»Oh, meine Kleine!« Zärtlich schaut sie Amy an und streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Vorsichtig nähert sich nun auch Tom dem Szenario. »Es ist ein Wunder«, flüstert er.
Als er sich ebenfalls langsam neben seiner Frau auf die Knie herablässt, wirft sich Amy in seine Arme.
»Du riechst so gut!«, flüstert sie nach einer Weile an seiner Brust. Tränen stehen in ihren Augen, und nun weint auch Tom.
Er hat recht, es ist wirklich ein Wunder. Ich kann nur erahnen, wie unglaublich das Erwachen ihrer Tochter für Kristin und Tom sein muss.
Nichtsdestotrotz werden sehr schwierige Zeiten auf die beiden zukommen. Zu erfahren, dass sich ihre finstersten Befürchtungen bewahrheiten – dass Amy sie nie als Eltern wahrgenommen hat –, wird ihnen schwer zusetzen.
Diese erste bewusste Begegnung zwischen den dreien lasse ich nicht lange ausufern. Zu groß ist meine Angst. Ständig befürchte ich Amys erneutes Abtauchen. So unterbreche ich Kristins Liebkosungen und Toms wiederholtes: »Es ist ein Wunder ... Das ist wirklich ein Wunder!«, als ich der Meinung bin, den ersten Hauch von Unbehagen in Amys Blick zu erkennen.
»Hey!« Sanft lege ich meine Hände auf ihre Schultern. »Wir sollten es behutsam angehen lassen. Alles wird gut werden, aber morgen ist auch noch ein Tag, und ich denke, wir täten gut daran, uns heute früh schlafen zu legen.«
Kristin und Tom nicken hastig und lösen sich dabei schon von ihrer Tochter.
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