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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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leuchtend grünen Augen dieser jungen Frau sehe ich Amys Seele nun deutlich aufflackern. Es gibt nicht den leisesten Zweifel mehr in mir.
    Sie ist es!
    »Halt mich fest!«, fordert sie mich auf. Ohne zu zögern ziehe ich sie ein wenig hoch, in meinen Schoß, nehme sie in meine Arme und presse sie fest an mich.
    »Ich wusste, dass du mich findest, Matty«, flüstert sie mir zu.
    »Ja, das habe ich«, erwidere ich glücklich. Als ich sie wieder ansehe – noch immer ängstlich, dass sie mir erneut entgleitet – ist ihr Blick offen und so unglaublich vertraut.
    »Deine Stimme ist so tief geworden.« Sie grinst.
    Über einundzwanzig Jahre – ob sie überhaupt eine Vorstellung davon hat? Vorsichtig streicht mir Amy die Haare aus dem Gesicht und blickt auf die Narbe an meiner Schläfe. Während sich das Grün ihrer Augen verhärtet, senke ich meinen Blick.
    »Dieser Mistkerl! Was hat er dir bloß angetan?« Sie flüstert zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch – wütend, als würde sie zu sich selbst sprechen.
    Ich lache, doch es ist ein trockenes Lachen, eins der bitteren Art. »Was er
mir
angetan hat? Amy, wesentlicher ist doch: Was hat er
dir
angetan? Wie kannst du über diese längst verblasste Narbe auf meiner Stirn sprechen, wenn
du
doch diejenige bist, die er ...« Meine Kehle ist zu trocken, um weiterzusprechen.
    Und da ist wieder dieses Bild von Amys kleinem geschundenem Körper, wie er stundenlang leblos neben mir gelegen hatte, bis man uns am Abend endlich fand. Sofort überkommt mich die Übelkeit, und ich bin froh, dass Amy da ist, um mich zurückzuholen – bevor
ich
es bin, der erneut versinkt.
    Sie liegt in meinen Armen und sieht mich bedauernd an, die schmalen Augenbrauen dicht zusammengezogen. »Nein, Matty! Mein Leid war nur von kurzer Dauer. Ich war schnell erlöst und wusste bald genau, dass der Tod nicht das Ende ist. Aber du ... du musstest alles mit ansehen und erleben, wie ich dich zurückließ. Glaub mir, dich hat es weitaus schlimmer getroffen.«
    Ich muss hart schlucken, als sie das sagt, doch Gott sei Dank fange ich mich schnell wieder.
    Wie reif sie ist. Wie kann sie so erwachsen sein?
    »Wer von uns beiden schlimmer dran ist, das können wir ja noch ausgiebig diskutieren«, versuche ich – wie immer kläglich – zu scherzen. »Versprich mir bloß, dass du bei mir bleibst. Geh nicht mehr fort. Ich ... ich brauche dich, Amy.«
    Nun lächelt sie. »Ich verspreche es!« Wie zur Bestätigung streichelt sie über meine Wange. Ich weiß, sie wird ihr Versprechen halten. Amy hat ihre Versprechen immer gehalten.
    »Amy?«
    »Hm?«
    »Du solltest dir etwas überziehen. Ich weiß nicht, wie Kristin und Tom ...« Weiter komme ich nicht. Sie sieht an sich herab, schnellt hoch und verschränkt sofort die Arme vor ihren Brüsten.
    »Gott, Matt ... Verdammt! Wo ist mein Oberteil?«, fragt sie hastig und offensichtlich peinlich berührt.
    Diese Situation, wie sie da sitzt, unmittelbar vor mir und ihren nackten Oberkörper voller Scham bedeckt – so wie jede andere Frau es an ihrer Stelle auch tun würde ... Diese Situation ist so bizarr für mich, dass erneut einige Sekunden verstreichen, bis ich reagiere und ihr den grünen Pullover reiche. Viel zu spät wende ich mich ab.
    »Darfst wieder gucken«, sagt sie schließlich. »Du hast mich noch nicht oft so gesehen, oder?«
    Schnell schüttele ich den Kopf. »Ich habe dich zwar einige Male in die Badewanne oder in die Dusche gehoben, aber Kristin hatte dir dabei immer einen Bikini angezogen. Sie ... ist sehr bemüht, immer in deinem Sinne zu handeln.«
    »Ja, ich weiß«, erwidert Amy.
    Wieder kommt sie mir ein wenig beschämt vor. »Sie lieben dich, Amy! ... Kristin und Tom haben alles getan, um dir zu helfen und deine Seele zu befreien.«
    Fassungslos sieht sie mich an, die Stirn in leichte Falten gelegt. »Sie wissen wirklich Bescheid?«
    Ich nicke.
    »Sie wissen, dass ich nicht ihre Tochter bin?«, fragt Amy ungläubig.
    Verdammt! Ihre Frage trifft mich wie ein derber Schlag in die Magengrube. »Für sie
bist
du ihre Tochter, Amy. Die einzige Tochter, die sie haben. Das wirst du auch immer bleiben. Aber sie wissen, dass sie nicht deine einzigen Eltern sind.«
    Als sie ihren Blick senkt und schluckt, kriecht erneut die Angst in mir empor. »Amy, sieh mich an! Sieh mich an«, beschwöre ich sie. Endlich hebt sie den Kopf und sieht mir in die Augen. Sie blinzelt einige Male schnell hintereinander, und ich weiß, dass es fast zu spät gewesen

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