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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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aufgefallen war, doch Amy hat meine Narbe hervorgehoben. Bei dieser Entdeckung verschließt sich mein Magen. Ein stechender Schmerz durchzuckt meine Brust.
    Nur sehr zögerlich beginne ich zu sprechen: »Das kann ich euch erklären. Diese Verletzung habe ich von dem Tag, als ... Dieser Typ hat ...«
    Ich möchte weitersprechen, doch ich schaffe es nicht. Kristin legt mir eine Hand auf den Oberarm. »Schon gut, mein Junge. Wir haben verstanden.«
    Automatisch ist meine Hand zu der Narbe auf meiner Stirn gewandert. Mit den Fingerspitzen streiche ich vorsichtig darüber, ebenso, wie die Hand auf Amys Gemälde es tut.
    »Hey! Das sind nicht meine Finger«, bemerke ich in diesem Moment. »Seht mal. Die Finger auf dem Bild sind viel zu zierlich, um meine sein zu können. Das ...«
    »... sind Frauenfinger.« Tom nickt.
    »Es sind Amys Finger«, sagt Kristin bestimmt. »Natürlich! Sie streicht über deine Narbe. Sie weiß, wie es um dich steht.«
    Und mit diesem Satz erweckt sie eine tiefe Erkenntnis in mir: Wenn es mir gelingt, Amy wieder zurück in dieses Leben zu holen, dann bin ich nicht mehr allein. Dann habe ich jemanden, der versteht, was ich durchgemacht habe. Unser Leid hat zwar nicht dieselben Auswirkungen gehabt, aber es hat denselben Ursprung. Amy sagte, sie wäre immer bei mir gewesen. Die ganze Zeit über wäre sie bei mir gewesen. Was auch immer sie damit meinte, fest steht, dass ich nun endlich bei ihr bin. Und ich weiß, wie es um sie steht. Wir haben uns wiedergefunden.
    Plötzlich, mitten in diesem kleinen Raum, den Blick auf mein eigenes Gesicht gerichtet, wird mir bewusst, wie stark die Bindung zwischen Amy und mir tatsächlich sein muss, wenn nicht einmal der Tod uns trennen konnte. Und obwohl ich mich bislang immer gegen diesen Ausdruck verwehrt habe, den ich als kitschig und übertrieben abtat, wann immer er mir zu Ohren kam, so ist er doch das Einzige, was in diesem Moment meine Gedanken beherrscht:
Seelenverwandte!
Wir sind seelenverwandt. 

[home]
IX. Kapitel
    D ie Tage vergehen. Vom Ablauf her gleicht einer dem anderen. Stundenlang schaukele ich mit Amy auf dem Fußboden, sie spielt am Klavier und malt in manch einer Nacht. Die Bilder jedoch verhüllt sie, bevor sie sich schlafen legt. Wir beschließen, dies als eine Bitte aufzufassen, und halten unser Verlangen, einen Blick auf ihre Kunstwerke zu werfen, in Schach. Auch wenn uns das ungemein schwerfällt.
    In all diesen Tagen macht Amy sagenhafte Fortschritte. Immer wieder lächelt sie und schaut mir direkt in die Augen. Sie reagiert nun sogar ab und zu schon auf meine Ansprache. Ihr Blick wird dann klarer, sie blinzelt und unterbricht ihr Schaukeln für einige Sekunden. Ich nehme mir fest vor, sie zum Bleiben zu bewegen, wenn sie ihren nächsten bewussten Moment hat.
    Schweren Herzens habe ich mich dazu durchgerungen, Amy nicht mehr in meinen Visionen zu besuchen, auch wenn ich diese lebensfrohe junge Frau, die sie dort ist, sehr vermisse. Stattdessen wiederhole ich während meiner Massagen stets eine einzige Forderung: »Komm zu mir, Amy! Ich bin für dich da. Komm mir entgegen, ich hole dich ab.« Immer und immer wieder sage ich ihr genau diese Sätze. Die gleiche Betonung, die gleiche Satzfolge, die gleichen Berührungen. Sie schließt ihre Augen und scheint die Massagen zu genießen. Ob meine Worte zu ihr durchdringen, vermag ich nicht zu sagen. Bis es mir Amy deutlich zeigt.
    Es ist mein letzter freier Abend. Zwei Wochen »kämpfe« ich nun schon mit meiner Magen-Darm-Grippe, doch nun kann ich es nicht mehr herauszögern: In der Praxis schreit man nach mir.
    Wieder knie ich über Amy und lasse meine ölgetränkten Hände über ihren Rücken gleiten. Kristin und Tom sind, wie an fast jedem Abend, zu ihrem Spaziergang aufgebrochen, um uns die nötige Ruhe für den Ausklang des Tages zu geben.
    Seine Stimme klingt so fern, und doch höre ich sie – wie ein leises Echo. Er ruft nach mir und verspricht, mich abzuholen.
    Ich liege, wie so oft in letzter Zeit, auf meiner Wiese. Sie bietet mir meine persönliche Auszeit. Von den wenigen Möglichkeiten, meine Tage zu verbringen, ist mir diese momentan die erträglichste. Weder mag ich in alten Erinnerungen schwelgen noch kann ich bei Matt sein. Zu sehr verwirren mich die Bilder von ihm, wie er neben dieser regungslosen jungen Frau kniet, sie massiert und sich alle Mühe gibt, ihr Leben einzuhauchen.
    Erst vor kurzem habe ich realisiert, dass
ich selbst
diese fremde, dunkelhaarige Frau bin, die

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