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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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Hilfe. Selbstbewusst ruft sie die Patienten auf und unterstützt Mary bei den Eingaben der Rechnungen und der Ablage. Die beiden verstehen sich sehr gut und verbringen jede Mittagspause miteinander.
    Diese »Mädelszeit« gönne ich ihnen. Besonders Amy, die nicht einmal in ihrer Kindheit eine echte Freundin hatte. Mary ist großartig. Sie scheint zu verstehen, dass ich momentan viel Zeit mit Amy verbringen muss – und natürlich auch möchte. Mit einer bewundernswerten Geduld hält sie sich im Hintergrund.
    Die Abende gehören uns, Amy und mir. Wir verbringen sie sehr unterschiedlich, jedoch immer gemeinsam.
    Einmal lese ich ihr etwas aus meinem Lieblingsbuch vor. In der einen Hand das Buch, den freien Arm um sie geschlungen, ihr Kopf liegt an meiner Brust – bis sie einschläft.
    Ein anderes Mal spielt sie stundenlang Klavier, während ich vor dem flackernden Kamin sitze und sie fasziniert beobachte.
    Dann wieder liegen wir nebeneinander auf ihrem Bett und tauschen Kindheitserinnerungen aus. Wir durchleben auf diese Weise noch einmal einige wunderschöne Momente zusammen, doch plötzlich beginnt Amy zu weinen – ohne jede Vorwarnung –, und ich schließe sie fest in meine Arme. Sie spricht es nicht aus, doch nun weiß ich, wie sehr das Heimweh an ihr nagt.
    Wie Mary halten sich auch Kristin und Tom sehr oft im Hintergrund.
    Auch sie stellen geduldig all ihre Fragen zurück, sobald sie merken, dass Amy und ich Zeit füreinander brauchen, um die Erlebnisse unserer zerstörten Kindheit aufzuarbeiten. Sie haben mich gebeten, bei ihnen im Haus zu bleiben, bis wir uns einigermaßen sicher sein können, dass Amy wirklich stabil ist.
    Also holte ich einige meiner Anziehsachen aus meiner Wohnung. Nun hängen meine unauffällig grauen und schwarzen Klamotten neben roten, grünen und knallorangefarbenen Blusen, Röcken und Kleidern.
    Es ist eigenartig, mit Tom und Kristin unter einem Dach zu leben. Sie behandeln auch mich fast so, als wäre ich ihr Sohn. Wie Teenager werden Amy und ich einerseits bekocht und verwöhnt, andererseits fühlen wir uns teilweise beobachtet und manchmal sogar ein wenig bevormundet.
    Die einzige Rückzugsmöglichkeit für uns besteht in langen Spaziergängen oder eben in Amys Zimmer. Für mich, der ich nunmehr seit fast dreizehn Jahren alleine lebe, ist das eine gewaltige Umstellung – und auch für Amy, die mental ja fast genauso alt ist wie ich, ist diese Art der Einschränkung, die sie nun bewusst erfährt, schwer zu ertragen. Amy hing schon immer sehr an ihrer Freiheit.
    Ohne die wichtigste Frage – von der wir beide wissen, dass sie in Toms und Kristins Herzen brodelt – beantwortet zu haben, wird uns beiden langsam, aber sicher klar, dass Amy in ihrem jetzigen Zustand schnell lernen möchte, endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Ein klärendes Gespräch wird immer unausweichlicher, und am achten Abend nach ihrem Erwachen ist es endlich so weit.
    »Was denkst du, wie sie es aufgenommen haben?«, fragt mich Amy in ihrer gewohnt direkten Art, sobald sie die Tür ihres Zimmers hinter uns verschlossen hat. Fast beiläufig, zwischen Truthahn-Sandwiches und hart gekochten Eiern, hatte Kristin beim Abendessen nach Amys frühesten Kindheitserinnerungen gefragt. Wie automatisch und offensichtlich völlig gedankenlos begann Amy, aus ihrem alten Leben zu berichten.
    Mir war Toms schweres Schlucken und Kristins traurig gesenkter Blick sofort aufgefallen, doch Amy hatte unbeirrt weitererzählt, sich keines Fehlverhaltens bewusst. Offen sprach sie von ihren Erinnerungen, und es erstaunte mich, wie viele davon wir miteinander teilten.
    Erst als die ersten Tränen auf Kristins Teller herabtropften und sie schnell über ihre Augen wischte, bemerkte auch Amy, dass sie wohl nicht so geantwortet hatte, wie ihre neuen Eltern es sich gewünscht hatten.
    »Entschuldige, Schatz«, schluchzte Kristin, die machtlos gegen ihre Gefühle ankämpfte. »Aber das ist nicht leicht für uns. Dass du dich an nichts erinnerst, was wir ...«
    »Aber ich erinnere mich doch«, fiel Amy ihr ins Wort. »Du hast nach meinen
frühesten
Erinnerungen gefragt, und ich dachte ...«
    Hilfesuchend blickte sie mich an. Sofort ergriff ich ihre Hand, um ihr die nötige Sicherheit zu geben, um fortfahren zu können.
    »Ihr wart die besten Eltern, die ich hätte bekommen können. Und glaubt mir bitte, wenn ich euch sage, wie leid es mir tut, was ihr noch immer mit mir durchmachen müsst. Das habt ihr nicht verdient. Nicht nach all dem, was

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