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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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passieren.
    »Brrr, ist das kalt.« Amy kurbelt das Fenster wieder hoch. »Ich freue mich schon auf Saint Toulouse. Dort müsste es bedeutend wärmer sein.«
    »Auf jeden Fall.« Trotz meiner Bemühungen bemerkt Amy sofort, dass mein Lächeln nur aufgesetzt ist.
    »Matty, was ist los? Du hast Angst, nicht wahr?«
    »Angst trifft es nicht. Panik ist eigentlich passender. Für mich ist diese Fahrt eine ziemliche Überwindung«, gestehe ich steif.
    Amy greift nach meiner Hand auf dem Schaltknüppel. »Es wird alles gut, du wirst sehen. Ich bin so froh, dass du mit mir kommst. Ohne dich hätte ich auch schreckliche Angst.«
    Es ist absolut lächerlich, aber ihr Blick allein bewirkt wieder einmal, dass mir schwindlig wird. Schnell richte ich meinen Blick zurück auf die Straße und lächele vor mich hin – wie ein Volltrottel.
    »Weißt du was?« Amys Nase ist gekräuselt.
    »Was?«
    »Es ist das erste Mal, dass wir allein sind. Nur wir beide, du und ich. Keiner wird kommen, um nach uns zu suchen, niemand wird uns rufen, keiner erwartet uns. Wir sind frei, Matty!«
    Das Strahlen ihrer Augen unterstreicht ihre Begeisterung.
    Amy und ihr Freiheitsdrang.
    Von dieser ersten großen Reise will sie nichts verpassen, das wird bald klar. Jedes Dörfchen, an dem wir vorbeifahren, jeder Baum und jede noch so kleine Auffälligkeit in der Landschaft wird kommentiert.
    Kaum vorstellbar, wie ruhig sie bis vor wenigen Wochen noch war. Seit ihrem Entschluss, diesem neuen Leben eine Chance zu geben, sind die Momente, in denen ihr Mund stillsteht, recht spärlich gesät. Und das ist gut so.
    Mit der Zeit jedoch verstummt ihr Redefluss, denn die Landschaft um uns herum verändert sich, wird immer trister. Zuerst verschwindet der Schnee, dann werden die Ortschaften weniger, und schließlich lichten sich sogar die Baumreihen.
    Nach fünf Stunden Fahrt ist Amy eingeschlafen. Ihr Atem geht ruhig und regelmäßig. Den Kopf hat sie zur Fensterseite geneigt, ihre Lippen sind nur leicht geteilt, die Hände ruhen in ihrem Schoß.
    Ich muss mich zwingen, den Blick zurück auf die Fahrbahn zu lenken.
    Die Küstenstrecke kenne ich sehr gut. Als ich mit meiner Tätigkeit als Physiotherapeut begann, besuchte ich oft Tagungen und Seminare, die mich die Küste hinabgeführt hatten.
    Nach einer weiteren Stunde weiß ich deshalb genau, dass nur noch eine einzige Anhöhe zwischen der schlafenden Amy und dem Pazifik liegt. Ich beschließe anzuhalten und lenke den Ford in eine Ausbuchtung am Straßenrand.
    In dem Moment, als ich den Motor abstelle, erwacht Amy.
    »Hey du!« Sie gähnt hinter vorgehaltener Hand. »Mist! Habe ich lange geschlafen? Ich wollte gar nicht einschlafen, aber irgendwie ...«
    »Irgendwie warst du in den letzten Tagen so aufgekratzt, dass du kaum noch schlafen konntest. Du hast dich im Bett hin- und hergewälzt wie ein hyperaktives Ferkel im Morast. Und irgendwie war das Maß nun wohl endgültig voll, Süße.«
    Ob man mir wohl ansieht, wie sehr ich sie liebe?
    Amy beugt sich zu mir rüber und küsst mich. »Wo sind wir überhaupt?«
    Ohne mir die Chance einer Antwort zu geben, spüre ich wieder ihre Lippen.
    »Wollen wir nicht aussteigen und uns etwas die Füße vertreten? Ich könnte die Sandwiches aus der Box holen«, fragt sie so dicht an meinem Mund, dass es kitzelt.
    »Nein!« Energisch schüttele ich den Kopf, obwohl mir bereits seit geraumer Zeit der Magen knurrt. Amy blickt verwundert zu mir auf. Sie kennt es nicht, dass ich ihre Vorschläge ablehne.
    »Wir fahren noch ein Stück.« Mit diesen Worten werfe ich den Motor wieder an. Amy schaut sich um. »Hm, viel zu sehen gibt es hier ja nicht gerade«, murmelt sie.
    »Findest du?«, frage ich genau eine Sekunde, bevor wir den Gipfel der Anhöhe erreicht haben und sich der Pazifik vor uns auftut. Wie so oft im Winter tragen die Wellen auch heute weiße Kronen.
    Amy schnappt nach Luft. Sie wedelt sich Luft zu, und ich weiß, sie würde schreien, wenn sie nur könnte. Doch sie kann nicht. Ha!
    Es passiert ja nicht oft, aber wann immer es bisher geschah, war es eine tolle Erfahrung, Amy sprachlos zu erleben. Es dauert, bis sie den Anblick so weit verarbeitet hat, dass ein erstes Wort ihre Lippen verlässt.
    »Matt!« Tränen schimmern in ihren Augenwinkeln.
    Wir fahren auf der Küstenstraße, parallel zum Ozean.
    »Halt an, halt an, halt an!«, ruft Amy. Ich trete auf die Bremse und komme in der nächsten Ausbuchtung zum Stehen. Hastig löst sie ihren Gurt und reißt die Tür auf.

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