Deine Spuren im Sand
blickte in den Rückspiegel. Folgte mir jemand? Nein, die Keitumer Landstraße lag ruhig da. Vor mir und hinter mir. Ich schien der Meute entkommen zu sein, niemand hatte mich erkannt. Tief atmete ich durch, wie ich es kurz vor einem Auftritt tat, und ließ meine Stimme summen, obwohl es in diesem Augenblick nicht darauf ankam, mich meiner natürlichen Stimmlage zu vergewissern. In welcher Klangfarbe ich einem Verfolger meine Wut ins Gesicht brüllen würde, spielte nun wirklich keine Rolle.
Doch das kleine Ritual, das mir stets mein Lampenfieber erträglicher machte, half mir auch hier. Ich entspannte mich so gut es ging, ballte und lockerte meine Hände in einem Rhythmus, der mir gut tat, stieß die Luft in kleinen heftigen Stößen von mir und atmete danach tief durch die Nase ein. Was mir hinter der Bühne half, bewirkte zum Glück, dass ich die Höchstgeschwindigkeit einigermaßen einhielt und nicht nach Keitum raste wie ein Bankräuber auf der Flucht. Aufmerksame Polizeibeamte und empörte Verkehrsteilnehmer waren das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Ich durfte schon froh sein, dass ich nicht mehr als entrüstetes Kopfschütteln geerntet hatte, als ich mit durchdrehenden Reifen vor dem Hotel Roth gestartet war.
Der Radfahrer, der mir in die Quere gekommen war, wäre mir sicherlich gern gefolgt, um mich zu stellen und der Polizei auszuliefern. Aber selbst wenn er sich mein Nummernschild gemerkt hatte, war er keine ernsthafte Gefahr für mich. Genauso wenig wie das Paar im mittleren Alter, das sich fürs Promenieren vor der Konzertmuschel fein gemacht hatte. Die beiden wollten zunächst nicht einsehen, dass es an einem Ort der Erholung und Entspannung auf zügiges Überqueren der Straße ankommen sollte, weil eine durchgeknallte Autofahrerin auf die hochhackigen Pumps einer Fußgängerin keine Rücksicht nehmen wollte. Wenn sie wenigstens hinter dem Steuer eines Porsches gesessen hätte! Aber eine Golffahrerin?
Doch den beiden hatte ich es gezeigt! Von wegen einfach langsam weitergehen und einen Verkehrsrüpel damit zum Bremsen zwingen! »Nicht, wenn Emily Funke auf der Flucht ist!«
Der Mann hatte dann auch prompt seine Gemütsruhe mit dem Totalverlust seiner attraktiven Überheblichkeit bezahlt und die Frau mit der Einbuße mindestens eines ihrer dekorativen Attribute. Denn ihr Begleiter hatte sie, als er merkte, dass es ernst wurde, einfach in Richtung Gehweg gestoßen, und ich hatte noch sehen können, als ich an ihr vorbeiraste, dass sie über die Bürgersteigkante stolperte und in dem verzweifelten Bemühen, nicht auf allen vieren zu landen, mit weit vorgerecktem Oberkörper in den niedrigen Heckenrosenwall schoss, der den Parkplatz der Sylter Welle umgab. Dass dabei ihr äußeres Erscheinungsbild ohne Schaden geblieben war, konnte ich mir nicht vorstellen. Aber darum kümmern wollte ich mich natürlich nicht. Ich bog schleunigst nach rechts ab und schlitterte gleich wieder nach links in die Steinmannstraße, dann nach wenigen Metern schon wieder nach rechts in die Brandenburger Straße. Zum Glück war die Ampel, auf die ich zuraste, grün, so dass niemand ernsthaft in Gefahr geriet, als ich über die Kreuzung schoss. Wenn man mal von diesem einen Radfahrer absah, der mir entgegenkam und die Absicht hegte, meine Fahrtrichtung zu kreuzen, um links abzubiegen! Aber der hatte wahrlich keine Vorfahrt, und wenn er im Falle einer Anzeige zu Protokoll geben würde, dass ich noch nicht in Sicht gewesen war, als er den Entschluss fasste, in die Norderstraße einzubiegen, dann würde ihm das sowieso niemand glauben.
Ich kam erst wieder zu mir, als ich am Ende der Kjeirstraße in den Kirchenweg einbog, wo sich die Polizeistation von Westerland befand. Ein Streifenwagen fuhr gerade vom Hof, und nun besann ich mich endlich darauf, dass es besser war, mich unauffällig zu verhalten. Von da an hielt ich mich in etwa an die zulässige Höchstgeschwindigkeit und mich selbst mit Entspannungsübungen einigermaßen gelassen und kampffähig. Selbst die Frage, was eigentlich geschehen war, konnte ich mir nun stellen, ohne eine Schimpfkanonade zur Antwort zu geben, in denen ich sämtliche Paparazzi der Welt und insbesondere Berno Kaiser auf den Grund der Nordsee wünschte. Als das Ortsschild von Keitum in Sicht kam, schaffte ich es sogar, mir einzugestehen, dass Berno nichts damit zu tun haben konnte. Er hätte niemals der Konkurrenz verraten, wo ich zu finden war. Verdammt, wie war das bloß durchgesickert? Jede
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