Deine Steuern sollst du zahlen (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
geliebten Mannes; auch die damals erst sechsjährige Tochter Selma hatte vor anderen Leuten nicht geweint.
Andrew Ehrlicher, Tom Truningers bester Freund aus seiner Zeit in den USA, war den beiden eine grosse Stütze gewesen nach dem Mord. Er hatte seine Reisen um die halbe Welt unterbrochen, um ein paar Monate in Küttigen zu bleiben und dabei zu helfen, das Leben von Maggie und Selma wieder in einigermassen geordnete Bahnen zu lenken. Während dieser Zeit waren der sesshafte Nick und der Vielflieger Andrew Freunde geworden mit einer Vertrautheit, die ihresgleichen suchte, zumindest in Nicks Leben. Heute trug Andrew eine schwarze Jeans, ein schwarzes Hemd und darüber einen hellen sportlichen Pullover mit Zopfmuster. Wie immer schauten die Spitzen von echten Cowboystiefeln unter den Hosenbeinen hervor.
Nun trat Nick mit einer Flasche Archidamo Primitivo an den Tisch und schenkte ein. „Den nächsten Gang habe ich gestern Abend mit diesem Wein drei Stunden gekocht und heute aufgewärmt, wie es sich für einen richtigen Eintopf gehört. Es ist ein Lammragout mit Oliven und Kapern, und dazu gibts Couscous. Achtung, die Teller sind sehr heiss.“ Er servierte, sie stiessen mit dem Rotwein an, und dann trat eine andächtige Stille ein.
„Ach Nick, du bist ein Künstler“, seufzte Maggie und nahm noch einen Bissen, und noch einen. „Diese Aromen erinnern mich an Sommerferien bei meinen Grosseltern in Sizilien, einfach wunderbar.“
„Bist du denn ursprünglich Italienerin?“ fragte Marina neugierig.
„Ach, es ist eine komplizierte Geschichte. Die Mutter meiner Mutter war Schweizerin und heiratete nach Sizilien; meine Mutter ging hier zur Schule und lernte meinen Vater, der aus Frankreich stammt, in der Schweiz kennen. Meine Wurzeln liegen also irgendwo zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz, so genau kann man es nicht sagen.“
„Wenigsten hast du Wurzeln, im Gegensatz zu mir“, warf Andrew ein. „Von Hammerfest nach Hongkong, von Küttigen nach Kalifornien – ich habe zwar überall Häuser, aber nirgends wirklich ein Zuhause.“
Maggie schmunzelte und sagte, er habe sich das ja auch ausgesucht, er bleibe bekanntlich ungern länger als ein paar Wochen am selben Ort. „Und im Übrigen könntest du jederzeit einen deiner Wohnsitze zum permanenten Heim erklären, schön genug sind sie alle!“ Sie lachte und sprach zu Nick und Marina, die fasziniert zuhörten. „Er beklagt sich immer wieder, aber ändern möchte er im Grunde nichts. Ihr müsstet mal sehen, wie schön seine Immobilien gelegen sind!“
„Wo bist du denn am liebsten, Andrew?“ fragte Marina, „ich stelle es mir zum Beispiel wunderbar vor, in diesen kalten und grauen Novembertagen in die Karibik flüchten zu können.“
„Okay, liebe Marina, wenn das so ist, dann mache ich dir ein Angebot. Das Resort, das ich in St. Martin besitze, muss den Spa-Bereich ausbauen und sucht eine tüchtige Leiterin für die Wellness- und Kosmetikabteilung. Du könntest für ein paar Monate hin fliegen, das Geschäft nach schweizerischen Qualitätsstandards aufbauen und es dann einer lokalen Angestellten übergeben. Du verbringst den Winter an der Sonne und wenn es hier Sommer wird, kommst du wieder zurück.“ Andrew schaute Marina herausfordernd an, und da war noch etwas in seinem Blick. „Oder du bleibst, wenn es dir gefällt.“
Maggie stockte der Atem. Nein, Andrew, nein, schrie es in ihr, Nick ist doch dein Freund! Sie bemühte sich um einen leichten Ton und bat um etwas mehr vom Lamm, obwohl sie keinen Hunger mehr hatte. „Ich könnte für euch auch karibisch kochen“, sagte sie, „statt dass ihr gleich dorthin fliegen müsst.“ Sie plauderte über spezielle Gewürze, die es dort gab, und steuerte damit das Gespräch wieder in unverfänglichere Bahnen. Sie lachten viel, leicht wie ein Pingpongball ging die Konversation hin und her über den Tisch.
Schliesslich stand Marina auf, um das Dessert vorzubereiten, und Nick räumte Teller und Besteck weg. „Jetzt kommt noch die englische Küche zum Zug“, kündigte der Gastgeber an. „Es handelt sich um Marinas Lieblingsdessert, einen heissen Berry Crumble mit Vanilleeis. Dazu kredenze ich euch einen Sigalas-Rabaud, einen wunderbar süssen Sauternes.“
Marina brachte die duftenden Gratin-Förmchen und bemerkte lächelnd: „Früher dachte ich, süsse Weine seien etwas für ältere Damen, etwa so wie Eierlikör. Aber das war, bevor ich meinen Liebsten und seinen Weinkeller kennenlernte. Lasst
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