Deine Steuern sollst du zahlen (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Laurenzenvorstadt war von aussen nicht besonders schön anzusehen: die Farbe an den grünen Fensterläden blätterte ab, der ehemals weisse Anstrich war an der verkehrsreichen Strasse grau geworden, die Stufen zum Eingang uneben. Im Gegensatz dazu standen die auf Hochglanz polierte Bronzetafel neben dem Eingang sowie die massive, schwere Holztüre, die Peter Pfister eine Minute vor zehn Uhr aufstiess. „Hintermeister Immobilien“ stand auf der Tafel, und „bitte läuten“, was er getan hatte, worauf der Türöffner summte.
Im grosszügigen Eingangsbereich wurde ihm von einer höchstens zwanzigjährigen dunkelhaarigen Schönheit der Mantel abgenommen, und sie bat ihn, noch einen Moment Platz zu nehmen, Herr Hintermeister sei noch mit Spanien am Telefon. „Aha, Sie machen also auch internationale Geschäfte?“ stellte Peter mit fragendem Ton fest, nur um etwas zu sagen. Er fühlte sich nicht wohl in der ziemlich luxuriösen Bürolandschaft: schwarz und weiss waren die dominanten Farben, nur der Boden bestand aus dunklem, edel aussehendem Parkett. Es gab insgesamt drei Arbeitsplätze, aber zwei davon sahen unbenutzt aus, und auch die Regale waren nur halb gefüllt mit ein paar wenigen schwarzen und weissen Ordnern. Auf dem Tisch vor der ledernen Sitzgruppe lagen Hochglanzmagazine, 'Schöner Wohnen', 'Town and Country' und andere, wunderschön fächerförmig arrangiert. Sieht nicht aus, als ob ausser der Sekretärin schon jemand die Zeitschriften angeschaut hätte, dachte Peter Pfister, überhaupt wirkt das Ganze hier wie eine leere Hülle und nicht wie eine gut beschäftigte Maklerfirma.
„Willkommen in meinem bescheidenen Büro, Peter! Gefällt es dir?“ Paul Hintermeister kam mit ausgestreckter Hand auf den Polizisten zu. Er trug einen dunkelgrauen, dreiteiligen Anzug, dessen Weste sich über seiner Mitte leicht spannte, aber er sah trotzdem elegant und gepflegt aus, jedenfalls im Kontrast zur Erscheinung seines Besuchers, dessen Aufzug etwas an Detektiv Columbo erinnerte, inklusive Trenchcoat.
„Ich habe es lieber ein bisschen gemütlicher“, antwortete Pfister, „aber zum Glück sind ja die Geschmäcker verschieden. Aber grosszügig ist es schon, dein bescheidenes Büro!“
Hintermeister führte ihn durch eine weitere massive Türe ins Chefbüro, und hier sah man, dass gearbeitet wurde: Papier wohin das Auge blickte, jedes Fensterbrett war mit Mappen und Zeitschriften belegt, jeder Zentimeter des riesigen Schreibtischs voll von Zeitungen, Büchern, Zetteln, auf dem runden Besprechungstisch stapelten sich die Akten. Was für ein Kontrast zwischen aussen und innen, dachte Pfister, und Hintermeister sagte, als ob er Gedanken lesen könnte: „Keine Angst, ich finde alles! Nach aussen mag es zwar wie Unordnung aussehen, aber in meinem Kopf herrscht Ordnung, und das ist das Wichtigste. Abgesehen davon habe ich eine sehr kompetente und systematisch arbeitende Sekretärin, wie du sicher gesehen hast.“ Peter Pfister schauderte beim Anblick dieses Arbeitsplatzes; er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand in diesem Chaos zielgerichtet und effizient arbeiten konnte.
„Ein bekannter Engländer hat einmal gesagt 'a clean desk is a sign of a sick mind', ein aufgeräumter Schreibtisch ist das Zeichen eines kranken Geistes, und daran halte ich mich. Kaffee?“
Sie setzten sich,die Empfangsdame brachte den Kaffee und wurde gebeten, keine Anrufe durchzustellen. Peter zückte sein Notizbuch. „Also, Paul, was kannst du mir über Gion Matossi und sein Leben erzählen?“
„Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll, Peter.“ Irgendwo unter den Papieren auf dem Schreibtisch erklang ein SMS-Signalton, den Hintermeister ignorierte. „Am besten ist es wohl, wenn ich dir berichte, wie wir überhaupt Freunde wurden. Wir sassen im Mathe-Unterricht nebeneinander, und Gion liess mich während den Prüfungen abschreiben. So einfach war das.“
*
„Guten Tag, Frau König. Wir möchten uns gerne nochmals in Herrn Matossis Büro umschauen.“ Nick Baumgarten lächelte, aber seine Stimme verriet, dass er keinen Widerspruch dulden würde.
„Herr Baumgarten, Frau Kaufmann, welche Überraschung. Ich glaube, wir haben Ihren Vorgesetzten mitgeteilt, dass niemand Zugang erhält zu den Akten des Steueramts.“ Ihr Gesichtsausdruck und ihre Wortwahl waren ebenso höflich wie die von Nick, nur in ihren Augen war zu sehen, dass die Überraschung eine höchst unangenehme war.
„Keine Angst, die Steuerakten interessieren uns
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