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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deuticke
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dafürsprechen, wie wichtig Mannschaftssport für Mädchen ist. Sie stehen auf, und beim Aussteigen dreht sich die Anführerin noch einmal um und ruft mir zu: »Passen Sie auf Ihre schönen Augen auf!«
    Ich verspreche dem Mädchen, es zu tun – Versprechen, die man fremden Menschen gegenüber macht, lassen sich leichter halten – und erst als ich auf dem Weg zu meiner Straße bin, fällt mir auf: Es ist mir ernst damit.
    Sobald Simon weg ist, finde ich wieder mehr zu mir. Es geht mir so gut wie selten, vielleicht sogar besser denn je. Ich kann wieder klar denken. Nicht so impulsiv. Meine Wohnung ist aufgeräumter. Ich gehe ständig spazieren. Ich reiße mir den Arsch auf, um mich gesund zu ernähren, und tatsächlich schrumpft selbiger. Ich mache Krafttraining bei einer total verrückten jungen Russin, was mich nicht nur fit macht, sondern auch zur Folge hat, dass ich jeden Dienstag und jeden Donnerstag um elf Uhr morgens eindeutig zurechnungsfähig bin. Klingt privilegiert, aber es geht auch kostenlos, indem man zum Beispiel am Fluss entlangjoggt und auf Schokotörtchen verzichtet. In meinem Fall ist es keine körperliche, sondern eine geistige Diät. Fisch, igitt – essen! Gemüse, igitt – trinken! Mein Freundeskreis und auch Fremde sind entsetzt über meine grünen Säfte, die ich mit einem Strohhalm schlürfe. Ich gehe ins Licht. Und das buchstäblich, weil ich in ein Apartment umziehe, wo ich für genau denselben Preis viel mehr Licht abkriege.
    Meine Eltern sind offenbar ähnlich gut drauf.
    Betreff:
Lagebericht aus Prag
    Datum:
Sonntag, 27. August 2006, 4.55 h
    Es war zum Totlachen, als uns der Golem im Mondschein über die Karlsbrücke gehetzt hat. Glücklicherweise konnten wir uns in riesige Insekten verwandeln, und das hat uns gerettet.
    Alles Liebe von
    Wesen der Unerträglichen Leichtigkeit des Seins

18. Kapitel
    Zum allerersten Mal wirkt Dr. R an diesem Tag etwas unkonzentriert. Er sieht ständig auf sein Telefon, als könnte es jeden Moment etwas Überraschendes tun. Irgendwann entschuldigt er sich und geht ins Nebenzimmer, um einen Anruf entgegenzunehmen.
    »Tut mir leid.«
    »Was ist los? Finden Sie mich plötzlich nicht mehr interessant, weil es mir besser geht?«
    »Einer meiner Patienten ist am Wochenende beinahe an einer Überdosis gestorben. Im Chateau Marmont.«
    »Hups, wie John Belushi.«
    »So ähnlich.«
    »Ist er berühmt?«
    »Emma!«
    »Er war berühmt, stimmt’s? Weiß die Presse davon?«
    »Noch nicht.«
    Wie es scheint, setzt sich dieser Patient in meinem Hinterkopf fest, obwohl ich mich nicht erinnern kann, dass ich ihn für spätere Verwendung speichern wollte – bis er zwei Jahre später bei einem Dinner neben mir sitzt.
    Auf Flughäfen bekomme ich immer Lust, mich bei meinen Exfreunden zu melden. Ich war am Flughafen von Atlanta, Georgia, und schrieb eine E-Mail an den berühmten Autor, der mir jahrelang zu schaffen gemacht hatte. Ich sagte mir, ein paar nette, freundliche Zeilen könnten nicht schaden. Doch dann kam das heraus:
    Hey,
    war gerade in der multikonfessionellen Kapelle. Schritt im Terminal auf und ab und sagte mir: »Jetzt geh ich hinein.« Doch als ich es endlich tat, was fand ich vor? Einige Muslime, die eifrig
SMS
-Nachrichten schrieben. Und in der Ruhezone, wo das Schild »
RUHE BITTE
« hängt, quasselt ein Mann in sein Handy: »Hey, bin noch gar nicht dazugekommen, dir zu sagen ...« Seine Stimme stockt, und ich denke mir: »Wir sind im verdammten Ruheraum.« Ich sage: »Entschuldigung, Sir, aber wir sind in der Ruhezone«, und lege die Hände wie zum Gebet zusammen, genau wie Mahatma Gandhi ...
    Ich starre auf das Geschriebene und überlege: Ist das eine nette Mail an jemanden, den ich als guten Freund behalten möchte oder soll es ein Liebesbrief an einen Lover werden? Es wandert in »Entwürfe«. Dort hat sich schon einiges angesammelt. Ich bin eigentlich nicht der Typ, der lange zögert, bevor er handelt. Und ich lese es nochmal durch und merke, dass ich damit auch sagen wollte: »Wir sind im rationalen Raum, also einem Raum, in dem man sich vernünftig benehmen sollte.«
    »Ich glaube«, sage ich später zu Dr. R, »mir geht es wirklich viel besser.«
    Ich zeige ihm ein paar Hass-Mails, die ich zu einem meiner Bücher erhalten hatte.
    »Wissen Sie, was an Hass-Mails so lustig ist? Sie lauten immer so ähnlich: ›Emma Forrest, ich habe absolut alles gelesen, was du je geschrieben hast, und konnte kein einziges Mal etwas Tröstliches entdecken.‹

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