Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
einer perfekten Herzform komprimiert blieb, sondern in Enttäuschung, Wut und Eifersucht umschlug – und unwiderruflich zerbrach, genau in dem Moment, als sich der Fötus materialisierte.
Man sah es mir sehr früh an. Erst sechs Wochen, aber schon sichtbar. Ich wollte, dass er es vor dem Abbruch noch sieht (das Datum war in Stein gemeißelt, mein Körper veränderte sich schon). »Ich wette, du siehst wunderschön aus«, sagte er am anderen Ende der Welt. Er war immer am anderen Ende der Welt. »Stimmt.« Na und? Ich hatte es von Anfang an gewusst, er war der erste Mann, den ich in mein Inneres ließ, weil ich ihn liebte – auch wenn meine Freundinnen und meine Familie, die uns immer nur streiten sahen, es nicht verstanden –, und nicht, weil ich hören wollte, ich sei wunderschön.
Danach sprachen wir uns nicht mehr. Ich weinte, als ich im Umkleideraum vor dem Spiegel in den OP -Kittel schlüpfte. (Warum ein Spiegel, warum dort?) »Sie sehen ... jung aus«, sagte Margaret, meine Gynäkologin, und zupfte spielerisch an meinem Pferdeschwanz. Sie war eine total glamouröse Mittfünfzigerin, die immer nur einen engen Rock und High Heels trug, ein tolles Dekolleté hatte und perfekt geföhnte, rote Haare. Dass sie sich von ihren Patienten mit dem Vornamen anreden lässt, verleiht ihr die Aura der
einen
coolen Lehrerin, die jedes
Bad Kid
hat. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich immer wie eine restlos unweibliche, unsexy Göre aus der Gosse, was mir unter diesen Umständen ganz recht geschah, weil ich mir diese Suppe wegen Sex eingebrockt hatte. Eine Urlaubsreise mit 21-stündiger Zeitverschiebung hatte mich durcheinandergebracht und ich hatte mit der Pilleneinnahme geschlampt. Als ich danach zu Margaret ging, machte sie einen Test und sagte dann: »Sie sind ein bisschen schwanger.«
»Ein bisschen schwanger? Ist das so ähnlich wie ein bisschen ›Nazi‹ sein?«
»Sie sind schwanger. Aber wenn Sie die Schwangerschaft unterbrechen wollen, müssen wir noch ein paar Wochen warten, bis wir operieren können.«
Und so bleibt Bushs zweite Amtseinführung für mich auf ewig mit dem Warten auf meine erste Abtreibung verbunden. Körperlich war es keine große Sache. Nein, ich bereue es nicht. Ich glaube, Simon litt mehr, besonders weil er nicht dabei sein konnte. Genau wie Pornografie dazu führt, dass Frauen Männer genauso stark hassen wie Männer Frauen, weckt eine Abtreibung in Männern fürchterliche Aversionen gegen Frauen. Vielleicht liegt es schlicht und ergreifend daran, dass sie keine Kontrolle über etwas haben, an dessen Entstehung sie beteiligt waren. Doch wie Simon zugab, drehte er fast durch, als ich den Abbruch machen ließ, obwohl er das Kind nicht wollte. »Hey«, sagte Margaret. »Das erlebe ich dauernd.«
Eine Freundin kam zu mir, damit ich nicht allein war, eine Frau in meinem Alter, die gerade eine Scheidung durchmachte. Wir lagen in der merkwürdigen frühherbstlichen Sonne und flehten sie an, unsere Traurigkeit und unser Versagen auszubleichen. Ich schlief jede Nacht mit den Händen auf dem Bauch. Meine Katzen, die kein Baby, sondern hormonelles Chaos und Drama rochen, stritten sich darum, wer auf meinem Bauch schlafen durfte. Ich redete ständig mit dem Zellhaufen. Sie aber haben kein einziges Mal geantwortet.
Einmal treffe ich einen jungen Skater, den ich vage aus der Zeit meines Selbstmordversuchs kenne. Er schaut mich groß an, und ich spüre, dass er nicht ausspricht, was er denkt: Oh, ich wusste gar nicht mehr, ob sie überlebt hat oder nicht.
Nein, nur schwanger.
Wenn es je einen Beweis dafür gab, dass jedes Leben alternative Erzählstränge haben kann, dann meins. Ich und ein fünfjähriges Kind haben? Ich noch immer in dieser schrecklichen Beziehung, auf der man herumkaut wie auf einem alten Kaugummi?
Ich weiß, dass ich über die Abtreibung schreiben werde, und das tue ich dann auch. Während es in mir ist, als es weg ist, das Schreiben hilft mir gegen die Depressionen, hält meinen Untergang auf. Ich gebe dem Fotografen Nick Knight ein kurzes Drehbuch, er gibt es der italienischen Schauspielerin Asia Argento, und sie machen einen verrückten Kurzfilm daraus. Sie spricht mir auf den AB wie eine sexy italienische Version von Selma und Patty von den
Simpsons
: »Hi, ich bin Äi-schi-ah.« Als ich das fertige Werk sehe, hat sie sich entschieden, direkt in die Kamera zu sprechen.
Sie mag meinen Schreibstil, weil ich so unglücklich wirke. Aber das trifft eigentlich nicht zu. Ich bin
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