Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
wie sie vermutet hatte. Derr wollte auf ein radikales Ende hinaus. Destruktiv. Vernichtend. Keine Katharsis, sondern ein ultimativer Endpunkt. Zwei zerstörte Leben. Alle seine Romane handelten von zerstörten Beziehungen. Das war sein Thema. Sicher nicht grundlos.
Ihr Gespräch drehte sich noch weiter um fiktive Leben, als sie sich zu Fuß auf den Weg zum Monsoon machten. Es war nur eine Viertelstunde zu gehen. Die prickelnde Luft und die Bewegung taten ihr gut. Der Prosecco war ihr ein wenig zu Kopf gestiegen. Sie genoss das Gespräch und Derrs Gegenwart. Einen derart unbeschwerten und gleichzeitig kribbelnden Abend hatte sie seit Jahren nicht erlebt.
Das vietnamesische Lokal entpuppte sich als edel. Im ersten Moment fühlte Clara sich ein wenig underdressed. Das Essen war phantastisch, der Wein auch. Langsam verloren sie das Interesse an Clarissa und Adrian und wandten sich einander zu. Clara erzählte von ihrem Leben als freiberufliche Lektorin, ohne es zu verklären, aber auch ohne zu jammern. Ihr Beruf machte Spaß, das war das Wichtigste. Auch wenn sie sich manchmal mit schwierigen Autoren auseinandersetzen musste. »Mit Ihnen beispielsweise.«
Derr lachte. »Ich bin ganz und gar unkompliziert.«
Clara war sich da nicht so sicher. Beim Dessert gingen sie wie selbstverständlich zum Du über und wussten bereits von ihren gescheiterten Ehen, als sie das Monsoon kurz vor zehn verließen. Der Nieselregen hatte aufgehört. Thore besaß weder Auto noch Führerschein. Sein Zug nach Prien ging in anderthalb Stunden. Zeit genug, Clara nach Hause zu begleiten.
Auf der Maximiliansbrücke kam ihnen auf dem Gehweg ein Radfahrer entgegen. Clara bemerkte ihn beinahe zu spät, Thore zog sie beiseite, danach blieb sein Arm auf ihrer Schulter liegen, wie selbstverständlich. Ein erwartungsvolles Prickeln ließ sie erschauern. Eine mahnende Stimme wollte fragen, wohin das führen sollte. Sie verbannte sie in den Keller der Vernunft. Dieser Abend sollte der Unbeschwertheit gehören. Schweigend gingen sie weiter. Über ihnen spannte sich der Nachthimmel, tief unter ihnen brauste die Isar. Im Rondell am Friedensengel blieb Thore stehen und sah sie mit diesem Malachitblick an, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Plötzlich fühlte sie sich wie zuletzt mit siebzehn. Dieses schon fast vergessene Magenflattern vor dem ersten Kuss.
»Weißt du, als du geschrieben hast: Ich erlöse Sie und nehme das Baiser , da hat es bei mir klick gemacht. Plötzlich war ich neugierig auf dich. Du bist witzig und klug. Und jetzt würde ich dich gerne küssen. Darf ich?«
Sie lachte. »Spricht irgendwas dagegen? Ich glaube nicht.« Ihre Stirn lag noch in gespielt nachdenklichen Falten, als er sie an sich zog. Dieser Kuss traf sie trotz Vorankündigung völlig unvorbereitet. Wann war sie zuletzt geküsst worden? Sie hatte ja gar nicht mehr gewusst, wie sich das anfühlte, was es in einem auslöste. Ihre Knie wurden tatsächlich weich. Ein Satz, den sie jedem Autor aus dem Manuskript gestrichen hätte. Doch so war es. Sie bekam weiche Knie. Sie spürte seine Lippen auf ihren, seine Zunge, die sich beinahe fragend näherte, bis sie ihre fand und einen Sturm an Gefühlen in ihr entfachte, der sie mitriss. Sein Haar war weich und kräftig. Seine Hände rau. Sie fühlte die Wärme seines Körpers durch den Mantel dringen. Bilder stiegen in ihr auf, die sie sich jetzt besser nicht ausmalen sollte.
Das Handy in der Manteltasche begann zu klingeln. Ausgerechnet jetzt! Clara ignorierte es. Doch es hörte nicht auf. Thore löste sich von ihr. »Vielleicht solltest du rangehen?«
Es konnte eigentlich nur Franzi sein oder Krystyna. Doch die Nummer im Display kannte sie nicht. »Ja?«
»Frau Lenz?« Die Stimme eines Mannes.
»Ja. Clara Lenz.«
»Dühnfort. Kripo München. Wo sind Sie zurzeit?«
Ein Eisregen verjagte in Sekundenbruchteilen alle erotischen Gefühle. Kalte Angst legte sich in Claras Magen. »Am Friedensengel. Was ist denn passiert?«
»Sie sollten nach Hause kommen.«
44
»Die Polizei. Ich soll nach Hause kommen.« Was war geschehen? Doch hoffentlich nichts mit Paps. Thore winkte bereits ein Taxi heran.
»Vielleicht ist bei dir eingebrochen worden«, meinte er während der Fahrt. »Das ist einem Freund von mir letztes Jahr passiert. Er war in Italien, als die Polizei bei ihm anrief.«
Ärger vertrieb die Angst. Wenn Hannes es gewagt hatte, bei ihr einzubrechen, dann gnade ihm Gott. Sie würde keine Rücksicht nehmen. Sie würde
Weitere Kostenlose Bücher