Delete: Thriller (German Edition)
hin.
Allmählich verflüchtigten sich die bunten Lichter, sodass Eisenberg seine nähere Umgebung undeutlich erkennen konnte. In der Halle herrschte Chaos. Menschen irrten schreiend umher, pressten Hände auf Augen oder Ohren. Er sah Morani ein paar Meter entfernt auf dem Boden liegen. So rasch ihn seine wackeligen Beine trugen, wankte er zu ihr.
»Sind Sie okay?«, fragte er. Es klang, als höre er sich selbst aus weiter Ferne.
Sie nickte und rappelte sich auf.
Ole Karlsberg lag auf dem Boden, die Hände über dem Kopf verschränkt, als fürchte er eine zweite Explosion. Das Stehpult war umgestürzt. Sein Wasserglas war zersplittert und Dutzende Manuskriptseiten lagen herum. Vor der Bühne stand der Rollstuhl des jungen Mannes.
Er war leer.
51.
Sie sind hier. Mindestens drei von ihnen, wahrscheinlich noch mehr. Der Kommissar sitzt in der Mitte am Tisch. Er sieht in deine Richtung, ohne Reaktion. Daneben ein dicker Mann und eine Frau vor ihren Laptop-Alibis. Sie blicken sich um, als wüssten sie nicht längst, wo du bist und was du vorhast. Wollen sie es verhindern? Oder bloß beobachten? Dein Herz pocht heftig. Du hast alles auf eine Karte gesetzt. Jetzt musst du sie ausspielen.
Du wartest, bis der Autor die Lesung beendet, hebst die Hand, doch ein anderer ist schneller. Im Rollstuhl wird man schnell übersehen. Schon wieder kommt dir jemand zuvor. Blöde Zicke. Wegen des Schallschutzes in den Ohren kannst du sie kaum verstehen. Karlsberg ist genervt, das sieht man, versucht, ihre Fragen zu unterbinden. Immer wieder hakt sie nach. Sie ist eine von ihnen, will verhindern, dass du das Mikrofon bekommst.
Gerade, als du schon nicht mehr dran glaubst, wird es dir von einer Helferin in die Hand gedrückt. Du brauchst eine volle Sekunde, bis dir dein Text wieder einfällt. Der Schriftsteller antwortet etwas, das du nicht verstehst. Du reimst es dir zusammen, sagst das mit dem konkreten Beweis während du mit der Linken den Stift aus der Blendgranate ziehst.
»Welt am Draht – das ist alles wahr!« Du wirfst die Granate in die Luft und kneifst die Augen zusammen. »Es ist …«
Die Explosion trifft dich mit voller Wucht. Wie gelähmt sitzt du im Rollstuhl. Schmerz sengt durch deinen Kopf, rast bis in die Schultern. Es stinkt nach verbranntem Haar und Magnesium.
Fünf Sekunden. Du willst aufstehen, doch dein Körper gehorcht nicht. Bunte Lichter vor den Augen. Die Ohren dröhnen, als hätte der Schallschutz versagt. Du musst hier weg!
Endlich kannst du dich aus dem Rollstuhl wuchten. Die aufgerissene Blendgranate liegt am Bühnenrand. Du hebst sie auf, verbrennst dir die Hand, ignorierst den Schmerz.
Drei Sekunden. Halte dich an den Plan! Du schaffst es, das Sweatshirt auszuziehen. Wickelst Granate, Brille und schwarze Perücke hinein und stopfst alles in den Rucksack.
Eine Sekunde. Du musst vom Rollstuhl weg, kommst nur ein paar Meter, bis die Betäubung der anderen nachlässt. Beugst dich über eine junge Frau am Boden, hilfst ihr hoch, als um dich Panik ausbricht.
»Bist du okay?«
Sie sieht dich nur fragend an. Menschen schreien und rennen durcheinander. Streben zu den Notausgängen. Du lässt dich vom Strom fortragen. Kannst es kaum lassen, dich nach dem Kommissar umzusehen.
Draußen ist es noch hell. Eine euphorische Stimmung erfüllt dich. Du hast es getan! Du rennst der Masse nach, verlässt das Gelände, biegst links in eine Seitenstraße des Industriegebiets, bist wieder allein.
Du entfernst die Plastikpfropfen aus deinen Ohren, holst einen Taschenspiegel hervor. Was du siehst, ist erschreckend. Dein Gesicht ist rot. Brandblasen auf der Stirn. Die Schirmmütze aus dem Rucksack kann sie kaum verdecken. Es muss genügen.
52.
»Er trägt Jeans und ein blaues Kapuzenshirt«, brüllte Eisenberg in sein Handy. »Was? Ich … ich kann Sie nicht verstehen … Egal, schicken Sie Krankenwagen! Es gibt hier Dutzende Verletzte!« Er beendete das Gespräch. In dem Tumult hatte es keinen Sinn, zu telefonieren. Bis die Einsatzleitung eine umfassende Fahndung eingeleitet hatte, war es ohnehin zu spät.
Er sah sich um. Klausen war nirgends zu entdecken, ebenso wenig die Kollegen von der Bereitschaft. Aber in dem Chaos war das nicht verwunderlich. Zwei Ordner waren dabei, einen kleineren Brand an der Bühnendekoration zu löschen. Sanitäter, die draußen vor der Halle bereitgestanden hatten, kümmerten sich um die verstörten Besucher. Einer kniete neben Karlsberg, der noch immer auf der Bühne lag, jedoch
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