Delfinarium: Roman (German Edition)
den Mut oder den Antrieb verspürt.
»Es ist klar, dass du dir Sorgen machst. Und das ist dein gutes Recht. Und ich finde es auch wichtig, dass wir darüber reden. Aber können wir das vielleicht ein andermal tun? Ich wollte gerade los. Wir reden morgen, okay?«
»Hm«, sagte mein Vater und strich sich über den Kopf. Er tat mir leid, weil ich wusste, dass wir dieses Gespräch sicherlich nicht in den nächsten Tagen führen würden. Sein Elan würde schon am nächsten Tag verpufft sein.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte ich, und: »Ich weiß, was ich tue.«
Er stand verloren da und ich erhob mich von der Treppe.
Petras Mutter öffnet mir die Tür.
»Daniel, wie schön«, sagt sie.
Petras Mutter heißt Ute, und Petra sagt immer: Ute, die Gute. Ihre Mutter ist der höflichste Mensch, den ich kenne, Lächeln ist ihr natürlicher Gesichtsausdruck. Entweder ist sie wirklich so nett und so gut oder sie versteht es sehr geschickt, alle unangenehmen Gefühle für sich zu behalten. Einmal habe ich mit der ganzen Familie, dem Vater, den Brüdern und Petra, am sonntäglichen Frühstückstisch gesessen. Und Ute, die Gute, hat mich gefragt: »Daniel, hast du Lust, mir einmal die Butter zu reichen?«
So etwas haut mich um. ›Nein, im Moment habe ich eigentlich keine Lust, bitte fragen Sie mich in zehn Minuten noch einmal, okay?‹
So ist sie, Ute, die Gute.
Petras Zimmer liegt unter dem Dach, ein Zimmer mit Dachschrägen, die Wände bis zum Giebel getäfelt. Es ist noch immer ihr Reich, hier oben hat sie, haben wir unsere Ruhe. Man kann über ihre Eltern sagen, was man will, abgrundtiefe Gutmenschen, aber sie gestehen ihrer Tochter zu, zu tun und zu lassen, was sie will, und sie vermitteln ihr trotzdem ein moralisches Korsett, nehme ich an. Eine Welt, an die man sich halten kann. Wo für karitative Zwecke gespendet und der Müll getrennt wird. Nicht so ein Treibsand, so unsicherer Boden wie bei mir.
An den Wänden hängen die Bilder, die Petra im Kunst-LK gemalt hat, überall im Haus, im Treppenhaus, im Arbeitszimmer des Vaters, aber eben auch in Petras eigenem Zimmer. Petra kann gut malen, keine Frage, da hängen Stillleben, expressionistische Porträts von Käsehobeln und anderen Alltagsgegenständen, verfremdete Ansichten fiktiver Personen, Landschaften, alles sehr gut gearbeitet, technisch sauber, aber ich würde nie auf die Idee kommen, mir meine eigenen Bilder aus der Schule an die Wand zu hängen. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Petra ist schon so etwas wie eine Rebellin, sie macht ihren Mund auf, wenn ihr etwas nicht passt. Sie hört die richtige Musik. Sie hat zu allem eine Meinung. Aber alles in allem ist sie eine brave Tochter. Sie ist wie ihre Eltern, nett und gut, mindestens genauso gut wie Ute, auf ihre Art. Ich weiß auch gar nicht, was mich daran stört, es ist ja nicht verkehrt, gut zu sein. Und ich kann auch gar nicht behaupten, dass mein Vater schlecht wäre. Er ist schon okay auf seine Art: frühberentet, gescheitert, depressiv.
Ich erzähle ihr in kurzen Zügen, was im Zoo geschehen ist. Ich erzähle von dem Mann und dass Susann mich angeguckt und berührt hat.
»Was sagst du?«, frage ich.
Sie sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett, sie trägt ein gebatiktes T-Shirt, das ich zum Kotzen finde, und ihre Brille. Ich sitze zu ihren Füßen auf dem Flokati.
Petra denkt nach. Sie sieht mir ins Gesicht.
»Was bedeutet dir die Frau?«
Ich habe das Gefühl, dass ich rot werde, jedenfalls wird mein Gesicht warm, unangenehm.
»Äh«, sage ich geistvoll, »sie ist die Frau, die ich ins Delfinarium begleite, ich muss auf sie aufpassen. Sie ist verheiratet, und ich finde es spannend, herauszufinden, was mit ihr los ist, sonst nichts. Wieso fragst du?«
»Nur so«, sagt Petra. Aber sie sieht mich eindringlich an, als könnte sie in mir etwas lesen, eine Geheimschrift, ein indiziertes Kapitel, das eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.
»Bist du eifersüchtig? Du bist eifersüchtig, stimmt’s?« Ich zwinge mich zu einem lockeren Lächeln.
»Quatsch«, sagt Petra, aber sie weicht meinem Blick aus, und jetzt kann ich sehen, dass sie rot wird.
»Also«, sage ich, »was hältst du von dieser Tierparkmann-Geschichte?«
»Ich glaube, dass du das ein bisschen zu wichtig nimmst«, sagt sie. »Keine Ahnung, was mit der Frau los ist, was interessiert es dich? Du machst einfach deinen Job und fertig. Lass sie doch, freu dich doch, wenn es ihr besser geht, wenn sie Kontakt zu
Weitere Kostenlose Bücher