Delhi Love Story
demselben Halbjahr?«
»Genau.«
»Also, ich bin keine große Freundin der Naturwissenschaften.
Kann ich stattdessen nicht Kunst oder Geschichte nehmen? Ich interessiere mich sehr für die Geschichte Indiens.«
Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. »Das hier ist kein Scherz«, warnt er. »Du bist im naturwissenschaftlichen Zweig eingeschrieben, weil das so auf deiner Anmeldung steht.«
»Ja, aber –«
»Also musst du Biologie, Biotechnologie, Informatik oder Technisches Zeichnen als fünftes Fach wählen.«
»Ich muss?«
»Außer du möchtest den Zweig wechseln.«
Ich will den Zweig nicht wechseln. Ich habe schon zu viel ändern müssen. Ich erinnere mich an etwas, das Keds einmal zu mir gesagt hat. »Biotechnologie«, sage ich.
»11 E«, antwortet er und wendet sich wieder seiner Zeitung zu.
Als ich in der 11 E ankomme, genießen die Schüler gerade die kurze Pause zwischen zwei Stunden. Die Tür ist angelehnt, das Lehrerpult verwaist, und alle in der Klasse unterhalten sich. Keiner bemerkt mich. Ich schaue mich um und finde es seltsam, dass alle so schwarzhaarig und dunkelhäutig sind, dass sie mir so ähnlich sehen.
»Ani?«
Keds hat mich entdeckt. Er sitzt ganz hinten und sieht mich überrascht an, als ich mich auf ihn zu bewege.
»Du hast Biotechnologie belegt?«
»Wenn du das kannst, kann ich es schon lange.«
Ich setze mich links neben ihn – seltsamerweise ist der Platz dort frei.
»Hallo! Du hast dich aber verändert!«, tönt es rechts neben Keds. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass dort jemand sitzt. Ein dünner, schlaksiger Junge mit verwuschelten Haaren und einer altmodischen, dicken Brille blinzelt mir entgegen.
»Somes«, sagt Keds mit einer geduldigen Stimme, die erahnen lässt, dass sich die beiden lange kennen. »Das ist Ani.«
»Und was ist mit Nikki? Haben wir sie vergrault?«
Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Somes starrt mich immer noch an.
»Ignoriere ihn einfach«, sagt Keds.
»Das ist ein guter Tipp«, stimmt Somes zu. »Hast du etwas zu essen dabei? Nein? Schade. Möchtest du einen Bissen?«
Er hält mir den winzigen, durchweichten Rest eines belegten Brötchens hin. Keds erklärt ihm, dass nicht jeder gern ein Hähnchensandwich zum Frühstück isst.
»Aber wieso nicht?«, staunt er. »Man frühstückt doch auch Eier. Der nächste logische Schritt ist Hähnchen.«
»Genau deshalb isst man Eier zum Frühstück und Hähnchen zum Mittagessen.«
»Wenn man abends Eier gegessen hat, darf man also Hähnchen frühstücken?«
Ich sage, das sei eine interessante Variante des Henne-Ei-Problems. Einen Moment lang blickt er mich ernst an und sagt mir dann, ich sei okay. Im nächsten Moment stöhnt er: »Oh nein, sie ist wieder da!«
Ein Mädchen nähert sich uns. Sie lächelt nicht. Sie hat langes braunes Haar, feine Gesichtszüge, lange Wimpern und sehr schlanke Beine. Ihre Augen sind dick mit Kajal umrandet, die Augenbrauen perfekt in Form gezupft. Sie baut sich vor mir auf.
»Hallo, Nikki«, sagt Keds. »Wie waren deine Ferien?«
»Schrecklich. Fahr bloß nie im Sommer nach Spanien –wenigstens nicht mit deinen Eltern.«
Keds grinst und verspricht, es nicht zu tun. »Ani, das ist Nikki«, stellt er uns vor. »Nikki, das ist Ani.«
»Sie sitzt auf meinem Platz.«
Ich lächle weiter. »Ich habe hier gar keine Namensschilder gesehen.«
Sie zieht ihre perfekten Augenbrauen hoch. »Ich brauche kein Namensschild.«
Ich will sie gerade eines Besseren belehren, als Keds aufsteht, seinen Rucksack nimmt und ihr offensichtlich seinen Platz anbieten will. Ich schubse ihn auf seinen Stuhl zurück und setze mich auf den leeren Platz vor ihm. Wie jeder Streit ist auch dieser sinnlos.
Somes beugt sich zu mir nach vorne und tippt mir auf die Schulter. »Mach dir keine Gedanken, das ist nichts Persönliches. Sie ist zu jedem so. Warte einfach, bis sie den Kaugummi unter ihrem Tisch findet.« Seine Augen funkeln schon wieder so eigenartig.
»Einen gebrauchten?«, frage ich.
»Natürlich«, grinst er. »Hier, magst du Schokolade?«
Weil immer noch kein Lehrer da ist, unterhalten sich alle in der Klasse. Ich esse die Schokolade und sehe mich
um. Von hier aus habe ich einen besseren Überblick als vorhin an der Tür; ich finde mich besser zurecht. Ein paar Schüler stehen am Fenster, rufen etwas nach unten und lachen. In einer Ecke steht eine kleine Gruppe, sie hören Musik auf iPods und summen die Melodien mit. Ein Junge und ein Mädchen stecken die Köpfe über dem
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