Delhi Love Story
wirft.«
»Hört auf!«
Aber es ist zu spät. Bobs dribbelt schon und spielt mir mit einem spöttischen Grinsen den Ball zu. »Dann zeig mal, was du kannst, Miss Einsfünfundfünfzig.«
Ich überlege, ob ich ihn ignorieren soll. Schließlich
muss ich Keds’ Freunden nichts beweisen. Das hier ist eine Schule wie jede andere, mit den typischen Jugendlichen. Und ausgerechnet Basketball ?
»Komm, Ani«, sagt Keds. »Zeig’s ihm. Du kannst das.«
Ich folge Bobs auf den Platz, ich habe keine Wahl. Das muss ich jetzt durchziehen. Keds ist ein Idiot – aber eigentlich kann er nichts dafür. Ich hätte ihn warnen sollen. Ich hätte ihm erklären sollen, dass ich nicht mehr so bin wie früher. Dass ich nur mein Pokerface aufgesetzt habe.
Durch das Dribbeln kommt das vertraute Ballgefühl sofort zurück. Ich werfe den Ball hoch, er segelt durch den Korb. Trotz allem fühlt sich das gut an. »Glück gehabt«, sagt Bobs.
»Vierzig darauf, dass sie es noch einmal schafft«, ruft jemand.
»Die Wette gilt«, antwortet eine andere Stimme.
Plötzlich merke ich, dass sich inzwischen eine ganze Menge Zuschauer um den Platz herum versammelt haben.
»Los, Ani!«, höre ich Keds rufen.
»Du musst treffen – sonst bin ich ruiniert!«, fordert Somes.
Ich ärgere mich über beide, atme tief ein und werfe. Ich höre Applaus, es kommen immer mehr Schüler hinzu.
»Das reicht.«
»Fünfzig darauf, dass du verfehlst.«
»Ich habe gesagt, es reicht.«
»Warum? Hat man dir in Amerika nicht beigebracht, drei Treffer hintereinander zu landen?«
Ich nehme ihm den Ball aus den Händen. Ich weiß, dass ich das lieber lassen sollte. Aber jetzt spüre ich zum ersten Mal seit Langem diese Anspannung von früher. Nur noch ein Wurf, denke ich. Damit er Ruhe gibt. Ich dribble, hebe den Ball, konzentriere mich.
»Wenn du triffst, darfst du in die Mädchenmannschaft. «
Ich werde stocksteif. Was mache ich hier eigentlich? Wieso stehe ich auf einem Basketballfeld?
»Du schaffst es, Ani!«
Ich muss jetzt aufhören. Sofort, bevor es zu spät ist, bevor ich verloren bin.
Ich atme tief ein und ziele auf die Luft vor dem Korb. Mir gelingt ein perfekter Wurf. Ich verfehle den Korb genauso knapp wie angepeilt. Papa wäre stolz auf mich gewesen, denke ich, während ich vom Platz schlendere.
Acht
Ganz langsam füllt sich die Wohnung Nr. 402 mit Formen, Schatten, Texturen und Gerüchen. Ma packt die Sachen aus, die wir aus Minnesota mitgenommen haben. Wir räumen Kleider in Schränke, stellen Bücher in Regale und arrangieren Potpourris auf Kommoden. Die neuen Möbel werden in einem Lastwagen geliefert. Solides Teakholz, handgewebte Stoffe und handgeknüpfte Teppiche – all die typischen Sachen Made in India , die Mas Herz schon immer höher schlagen ließen und die Papa immer furchtbar fand.
Sie beschließt, die Wände zu streichen. Bald bedecken warmes Gelb, Sandfarben und Silber die schlichten weißen Wände. Die Küchendecke wird mangofarben gestrichen, Ma trägt eine Schicht nach der anderen auf.
»Wenn das so weitergeht, muss ich auch in der Wohnung eine Sonnenbrille tragen«, erkläre ich Ma. Es kommt mir vor, als würde die sinnliche, fiebrige Farbe explodieren und auf uns niederregnen.
»Gefällt es dir denn nicht? Ich fühle mich wie im Urlaub, sobald ich die Wohnung betrete!«
»Es fehlen nur die Palmen und der Sand zwischen den Zehen.«
»Das ist eine tolle Idee, Ann! Ein kleiner Urlaubsstrand nur für uns! Dazu brauchen wir nur ein paar Farbtupfer.«
Die Farbtupfer nehmen die Gestalt eines fuchsiafarbenen Sofas, einer aprikosenfarbenen Chaiselongue, diverser Palmenpflanzen und eines sandfarben-silbernen Teppichs an. Nach der Schule freue ich mich darauf, der höllischen Sonne zu entkommen, und merke, dass sie mir bis in die Wohnung gefolgt ist. Sie springt mir von jeder der farbigen, leuchtenden Flächen entgegen. Ich bedecke die Augen mit der Hand, werfe mich mit dem Gesicht nach unten auf den sandfarbenen Teppich und bete, dass dieser »Urlaub« bald ein Ende nehmen soll.
Aber das passiert natürlich nicht. Stattdessen geht er endlos weiter. Eines Tages hängt ein großes Gemälde mit zwei Dorfmädchen an der Wohnzimmerwand. Ma sagt, es erinnere sie an uns beide. Die orangefarbenen Röcke der Mädchen passen nicht zu unserem fuchsiafarbenen
Sofa, und es wirkt, als folgten mir die beiden mit ihren Blicken durch das ganze Zimmer. Über die Mahagonikommode im Flur kommt ein Wandteppich aus magentafarbener Seide mit
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