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Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swati Kaushal
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Diwaar: Wand. Erstaunt bemerke ich, dass ich die Wörter gar nicht richtig lesen muss und mich trotzdem an sie erinnern kann. Ich scheine sie mir eingeprägt zu haben. Und aus irgendeinem Grund kann ich auch die Hindi-Zahlen von eins bis neun aufschreiben. Eine Art von Osmose muss stattgefunden haben, ohne dass es mir aufgefallen ist. Ich habe begonnen, meine Muttersprache zu absorbieren.
    Schreibung weicht absichtlich von Vorlage ab. Ich habe das Hindi-Wort so transliteriert, dass man es als Dt. ungefähr richtig ausspricht. Die im Original vorgeschlagene Transliterierung Mej bildet nur die Buchstabenfolge im Hindi ab, die in diesem Fall aber bei der Aussprache für Deutsche nicht weiterhilft.
    Ma hatte lange versucht, mir Hindi beizubringen. Sie begann damit, als ich in die erste Klasse kam, und gab erst auf, als ich die dritte Klasse beendete. Drei Sommer lang gab sie sich alle Mühe. Sie verwandelte die Veranda in ein provisorisches Klassenzimmer, kaufte kleine Korbmöbel, viele bunte Stifte (Farben waren Ma immer wichtig), zerlesene Kathas von Amar Chitra und andere illustrierte Bücher auf Hindi.

    Sie holte den alten kleinen Fernseher vom Dachboden, stellte ihn ans Fenster und schloss den alten Videorekorder an. Sie lieh Hindi-Filme aus der Videothek, und manchmal war der Videorekorder so großzügig, diese abzuspielen. Dann war der Raum erfüllt von den hohen Stimmen der Sängerinnen und dem Geruch von Mikrowellenpopcorn. Jess und Jaime kamen vorbei; gemeinsam lasen wir die Untertitel. Wir lachten uns über die seltsamen Wörter und altmodischen Formulierungen kaputt und bewarfen uns gegenseitig mit Popcorn. Ich lernte gar nichts.
    Ich erinnere mich noch an die letzte Hindi-Stunde auf der Veranda. Ma war wie immer mit bunten Stiften, farbigem Papier und einer Art selbstentworfenem Lehrplan bewaffnet. Sie setzte sich neben mich auf die Stufen und versuchte, sich auf Hindi mit mir zu unterhalten. Es war, als übten wir für ein Theaterstück.
    »Also, Annie, sag mal, tumhaara nam kya hai 9 ?«
    Ich blickte zu den Bäumen hinüber, wo Jess und Jaime Trampolin sprangen.
    »Tumhaara naam kya hai?«, wiederholte Ma. »Ich helfe dir ein bisschen. Naam – wie klingt das denn?«
    »Hm …«
    »Es klingt wie Name. Tumhara kya Name hai 10 ? Verstehst du?«
    »Du weißt doch, wie ich heiße, Ma.«
    »Ja, aber kannst du antworten? Hamara naam Anisha Rai hai.«

    »Ich heiße Annie Rai.«
    »Nein, Ann, auf Hindi. Hamara 11 –«
    »Isha, das muss mera 12 heißen.«
    Dankbar blickte ich zu Papa hoch. »Mein heißt auf Hindi mera«, erklärte er Ma. »Hamara heißt unser.«
    »Aber bei uns zu Hause sagten alle hamara, Suj.« 13
    »Du dachtest als Kind auch, dass Vögel auf den Bäumen wachsen.«
    »Stimmt gar nicht!«
    Er umarmte sie; seine Arbeitshandschuhe hinterließen braune Spuren auf ihrem weißen T-Shirt. Ich stand auf und schlüpfte in meine Flip-Flops.
    »Warte, Ann –«
    »Gib’s auf, Ish. Du tust etwas Heldenhaftes, aber du bist nicht gerade ein Pandit und Annie ist nicht gerade eine vorbildliche Schülerin.«
    »Aber sie sollte –«
    Er massierte ihren Rücken und scheuchte mich weg. »Sie wird es lernen, wenn es nötig ist.«
    Ich lese die Worte, die ich auf Hindi niedergeschrieben habe, und frage mich, ob er das damals gemeint hat.
    Das Klingeln an der Tür reißt mich – endlich! – aus meinen Gedanken. Ich öffne. Rani wischt sich gerade die
Hände am Saum ihres langen Rocks ab. Sie entschuldigt sich und erklärt, sie habe so lange gebraucht, bis das Abendessen fertig war.
    » Du kochst das Abendessen?«
    »Ja.«
    »Du?«
    »Das macht mir nichts aus.«
    »Okay.« Ungläubig schüttele ich den Kopf. »Wo ist meine Portion?«
    »Oh! Daran habe ich nicht … tut mir leid …«
    »Ach, ich mache doch nur Spaß!«, beruhige ich sie grinsend. »Ma und ich sind gar nicht an richtiges Essen gewöhnt. Bestimmt würden wir es nicht gut vertragen. «
    Rani runzelt sanft die Stirn. »Richtiges Essen?«
    »Ich habe gehört, das soll ganz gut schmecken.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Morgen bringe ich dir richtiges Essen.«
    »Und heute«, sage ich, »kaufe ich dir ein Eis. Los, komm!«
    »Aber Chandra-Nani –«
    »Wird nie davon erfahren. Komm jetzt!«

Zwölf
    Die Gemeinschaftsterrasse im vierten Stock glänzt nass, die Nacht riecht nach Ringelblumen. Ich liege unter der Pergola im viel zu großen Liegestuhl und atme den Geruch ein. Die Haut an meinen Armen prickelt. Ich hole
tief Luft. Zum ersten Mal nach langer

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