Delhi Love Story
, jubelten die Zeitungen, als sei es Schnee am Weihnachtsabend. Schwer und weich fiel der Regen diesen und den ganzen nächsten Tag lang. Erst vor wenigen Stunden hatte es aufgehört zu regnen. Die schlimme Hitze war angenehm kühlen Temperaturen gewichen.
»Ann, hörst du das?«
Ma hat sich aufgerichtet und blickt zu den Glastüren hinter uns.
»Dieses klopfende Geräusch?«
Ich richte mich auf. Erst nach einem kurzen Moment bemerke ich den Umriss in der Dunkelheit hinter den Glastüren. Er bewegt sich und öffnet eine der Türen. Ich habe Angst. Es ist mitten in der Nacht; Ma und ich sind allein. Wir haben nichts, womit wir uns verteidigen könnten, nicht einmal ein Handy, um jemanden anzurufen.
»Wer ist da?«, ruft Ma.
Der Umriss betritt den Ziegelboden und nimmt menschliche Gestalt an. Er macht ein paar langsame Schritte auf uns zu. Der nächste Blumentopf ist mehrere Meter entfernt, es würde einige Sekunden dauern, hinzulaufen und ihn auf den Eindringling zu werfen, aber ich würde es schaffen, wenn ich müsste.
»Entschuldigung, aber das hier ist ein privater Bereich. «
Die männliche Stimme ist kühl. Ma steht auf und zieht ihr Tuch fest um sich. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie.
»Nein, ich wohne hier.«
»Hier?«
»In Nummer 401.«
Irgendwann musste es ja passieren. Es gibt den Nachbarn wirklich, auch wenn wir auf das Gegenteil gehofft hatten.
»Und wer sind Sie?«, fragt der Mann.
»Wir sind Ihre neuen Nachbarn! Nummer 402.«
Offensichtlich freut er sich darüber nicht im Geringsten. Er zögert einen Augenblick und schlurft dann lustlos zu uns herüber; einen Rollkoffer im Schlepptau. Im Licht der Terrassenlampe sieht er alt aus. Sein graumeliertes Haar ist ungekämmt, die über den Arm geworfene Jacke zerknittert. Oder ist er doch nicht so alt? Das Gesicht unter den Bartstoppeln ist faltenfrei; er hält sich gerade, obwohl er sichtlich erschöpft wirkt. Zögernd streckt er Ma die Hand hin: »Jaideep Khandelwal«, stellt er sich vor.
»Ich bin Isha Rai. Und das ist meine Tochter Annie.«
Ich nuschele eine Begrüßung, blicke sehnsüchtig auf unsere nun leeren Liegestühle und frage mich, ob es wohl unhöflich wäre, sich wieder hinzulegen.
»Das ist wirklich eine schöne Nacht, oder?«, höre ich Ma fragen.
»Ja, stimmt.« Er unterdrückt ein Gähnen. »Es tut mir leid, aber ich bin erst vor Kurzem aus dem Flugzeug gestiegen.«
»Das kenne ich. Ich habe die letzten hundert Stunden durchgearbeitet. Woher kam denn Ihr Flug?«
»Aus Peking.«
»Da waren Sie lange unterwegs!«
Ich räuspere mich ungeduldig: »Wollen wir uns hinsetzen, Ma?«
Er begreift den subtilen Hinweis. »Ich sollte reingehen. Ich wollte nicht stören.«
»Oh, Sie stören nicht! Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns, es ist so ein schöner Abend! Und immerhin ist es auch Ihre Terrasse.«
»Na gut, vielleicht ein paar Minuten.«
Unzufrieden sehe ich zu, wie er sich in den von Ma bereitgestellten Stuhl setzt. Ma könnte ein Holzscheit in ein Gespräch verwickeln, wenn sie wollte. Und das hier ist ein echter, lebendiger Mensch – und sogar ein Nachbar! Für Ma sind das sonnige Aussichten auf der nächtlich dunklen Terrasse. »Es gibt nichts Besseres, als nach einer langen Reise heimzukommen, oder?«, fragt sie mitfühlend. »Reisen Sie viel?«
»Viel zu viel.«
»Nach China?«
»Überallhin, aber vor allem bereise ich Asien.«
»Was machen Sie denn?«
»Ich bin ein Banker. Nichts Aufregendes.«
Bestimmt verdient er gut. Auf dem schwarzen Handkoffer, den er auf den Terrassentisch gelegt hat, klebt das Schild: Priority baggage. An seiner Jacke entdecke ich das Logo einer Nobelmarke.
»Banker? Hm … Jaideep Khandelwal …«, überlegt Ma. »Arbeiten Sie zufällig bei HSBC?«
Er runzelt erstaunt die Stirn. »Ja?«
»Dann sind Sie J.D.! J.D. Khandelwal!«
»Verzeihen Sie, aber kennen wir uns?«
»Nein, aber Aditya spricht immer von Ihnen. Aditya Agarwal von Kaleidoscope. Er ist ein Kollege.«
»Sie arbeiten für Kaleidoscope? Ich habe erst letzte Woche mit Aditya gesprochen. Er entwirft eine neue Kampagne für uns.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Sie betreuen HSBC? Jaja, die Welt ist klein.«
»Ja, das ist sie wirklich.«
»In den letzten Wochen war ich viel unterwegs, aber ich habe gehört, es gibt einen hervorragenden neuen Creative Director.«
»Er sitzt vor Ihnen.«
Er sieht Ma erst überrascht, dann schuldbewusst an. »Entschuldigen Sie bitte!«
»Kein Problem.«
»Ich wollte Sie nicht
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