Delhi Love Story
Gesten. Rupa hängt an ihren Lippen. Beide blicken auf, als ich mich nähere.
»Ma! Was machst du denn hier?«
»Ach, Schatz, ich schnappe nur etwas frische Luft!«
»Und was ist mit den Gästen?«
»Tara und Sunny kümmern sich um sie. Und ich habe ihnen gesagt, wo der Feuerlöscher ist. Nur für den Notfall. «
Ich schüttele den Kopf. »Du bist gemein.«
»Ich weiß«, grinst sie. »Ist das für Rupa? Wie nett von dir, Ani.«
Rupa staunt angesichts des riesigen, schön dekorierten Eisbechers. Sie protestiert halbherzig.
»Oh nein«, sagt Ma, »niemand kann einfach so Annies Banana Split ablehnen.«
»Das bringt Unglück«, stimme ich zu.
»Dann habe ich wohl keine Wahl.« Rupa setzt die Schüssel andächtig auf ihrem Schoß ab. »Wie schön«, sagt sie.
»Es schmeckt noch besser, als es aussieht.«
Sie zögert, probiert dann. »Mmmmm … Isha, deine Tochter ist ein Engel.«
»Ich weiß.« Ma zieht mich zu sich heran. Es ist unsere erste Umarmung seit Langem. Liebe durchströmt mich.
»Ich sollte öfter bei euch vorbeikommen«, sagt Rupa.
»Und wieso tust du das nicht?«
»Ja, wieso eigentlich nicht?« Sie lächelt bitter, starrt auf den Eisbecher. »Sag, Isha, wie machst du das nur?«
»Was denn?«
»Alles. Wie schaffst du es, immer so sicher und so fröhlich aufzutreten? Wie gelingt es dir, immer das Richtige zu tun?«
»Oh, ich tue nicht immer –«
»Und es sieht auch noch so leicht aus.« Sie nimmt einen großen Löffel Eis und rührt dann hektisch in der Schüssel herum. »Ich habe auch daran geglaubt, dass man das Richtige tun soll. Aber das ist lange her. Das kannst du dir vielleicht nicht vorstellen, aber ich war eine von denen, die Gleichberechtigungsparolen verbreitet haben.«
»Doch, das kann ich mir vorstellen.«
»Deswegen habe ich mich für die Psychologie als Berufsweg entschieden. Ich wollte anderen unbedingt helfen, ihnen eine Chance geben, missbrauchte Frauen wieder aufbauen …«
Ma legt eine Hand auf Rupas Arm. »Das ist eine schwierige und wertvolle Arbeit, Rupa.«
»Ja, aber sieh mich an. Seit Jahren habe ich nichts Ernsthaftes gearbeitet.«
»Das stimmt nicht, du hast jetzt eine Familie. Ich weiß, dass du dich viel um Ragini kümmerst.«
Sie seufzt, isst einen Löffel Eis. »Ja. Ich kümmere mich wirklich viel um Ragini.«
»Wenn man Kinder hat, ändert sich alles.«
»Ändert sich auch die eigene Fähigkeit, richtig und
falsch zu unterscheiden?« Ihre Härte gegen sich selbst lässt mich Mas Blick suchen.
»Ich glaube, du kannst sehr gut richtig und falsch unterscheiden«, sagt Ma.
»Und was mache ich gerade?« Sie schnaubt verächtlich. »Ich wusste damals nichts über meine Patienten, Isha, außer, dass sie meine Hilfe brauchten. Und ich glaubte ihnen immer, wenn sie mir von ihren Erlebnissen erzählten. Ich hatte nie Schwierigkeiten, das Richtige zu tun.« Sie nimmt noch einen Löffel Eis. »Wieso fällt es mir so schwer, meiner kleinen Cousine zu glauben, wenn sie mir erzählt …« Ihre Stimme verebbt. »Warum ist das so schwer?«
»Ich gebe dir keine Schuld, Rupa –«
»Warum nicht? Warum gibst du mir keine Schuld? Wenn Rajiv getan hat, was sie behauptet, trage ich dann nicht genauso viel Schuld?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Aber er ist mein Ehemann , Isha.«
»Ich weiß.«
»Was meinst du? Was soll ich tun?«
»Ich glaube, das kann nur eine Person beantworten.«
Sie nickt, atmet tief. »Ich. Ja, ich weiß. Aber was würdest du an meiner Stelle tun, Isha? Was wäre, wenn Suj –«
Ma seufzt, ihr Blick geht in die Ferne. »Das wäre sehr, sehr schwer gewesen«, sagt sie schließlich. »Aber ich glaube, ich hätte ihn rausgeworfen.«
Ich kann mich nicht zurückhalten. »So etwas hätte Papa nie getan!«
»Ja«, sagt Ma, »aber würde Ragi das nicht auch über ihren Vater sagen?«
»Aber Ma, das kann man nicht vergleichen –«
»Und woher weißt du das?«
Schockiert sehe ich sie an.
»Ich sage doch gar nicht, dass Suj so war. Aber Rupa hat gefragt ›was wäre, wenn‹.«
»Und ich sage«, entgegne ich mit lauter werdender Stimme, »dass die Frage sinnlos ist, weil er nicht so war !«
»Das ist eine hypothetische Frage, Ann! Und Suj war auch nicht –«
»Nein, Ani hat recht«, sagt Rupa. »Die Frage war unfair. Es tut mir leid.« Sie stellt die Schale mit dem Eis beiseite und steht auf. »Ich sollte jetzt gehen. Es tut mir wirklich leid. Bitte vergiss, was ich gesagt habe, Ani. Ich habe nicht richtig nachgedacht. Ich bin
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