Delirium
Kopf. »Nur ein Aufblitzen und dann warst du weg. Genau wie ein Vogel.«
Ich weià nicht, wie â ich hatte nicht vor, mich zu bewegen, und habe auch nicht gemerkt, dass ich mich bewegt habe â, aber irgendwie sitzen wir uns plötzlich, nur Zentimeter voneinander entfernt, in der Dunkelheit gegenüber.
»Alle schlafen. Sie schlafen seit Jahren. Du wirktest ⦠wach.« Alex schlieÃt die Augen, öffnet sie wieder. »Ich habe das Schlafen so satt.«
Mein Inneres hebt sich und flattert, wie um das zu tun, was er gerade beschrieben hat, als hätte es sich in aufsteigende und herabschieÃende Vögel verwandelt. Der Rest meines Körpers scheint auf einer starken, warmen Strömung hinwegzutreiben, als würde ein heiÃer Wind durch mich hindurchblasen, mich auseinanderreiÃen und in Luft verwandeln.
Das ist falsch, sagt eine Stimme in mir, aber es ist nicht meine. Es ist die Stimme einer anderen â ein Gemisch aus meiner Tante, Rachel, all meinen Lehrern und der verkniffenen Gutachterin, die beim zweiten Mal fast alle Fragen gestellt hat.
Laut sage ich: »Nein«, obwohl ein anderes Wort in mir hochsteigt und auffliegt, sprudelt wie frisches Wasser aus einer Quelle. Ja, ja, ja.
»Warum?« Es ist kaum noch ein Flüstern. Seine Hände suchen mein Gesicht, seine Fingerspitzen streichen kaum wahrnehmbar über meine Stirn, meine Ohren, meine Wangen. Ãberall, wo er mich berührt, brennt Feuer. Mein ganzer Körper lodert auf, wir beide werden zur doppelten Spitze derselben grellweiÃen Flamme. »Wovor hast du Angst?«
»Du musst das verstehen. Ich will einfach bloà glücklich sein.« Ich bekomme die Worte kaum heraus. Mein Verstand ist ganz benebelt, voller Rauch â es existiert nichts auÃer seinen Fingern, die sanft über meine Haut und durch meine Haare tanzen. Ich möchte, dass es aufhört. Ich möchte, dass es ewig so weitergeht. »Ich will einfach bloà normal sein, sein wie alle anderen.«
»Bist du sicher, dass es dich glücklich machen wird, so zu sein wie alle anderen?« Sein Atem an meinem Ohr und an meinem Hals, sein Mund streift meine Haut. Und da denke ich, vielleicht bin ich wirklich gestorben. Vielleicht hat mich der Hund gebissen und ich bin auf den Kopf geschlagen worden und all das ist nur ein Traum â der Rest der Welt hat sich aufgelöst. Nur er. Nur ich. Nur wir.
»Ich kenne nichts anderes.« Ich spüre, wie mein Mund sich öffnet, aber nicht, wie die Worte herauskommen, doch da sind sie, schweben in der Dunkelheit.
Er sagt: »Ich zeige dir etwas.«
Und dann küssen wir uns. Oder zumindest denke ich, dass wir uns küssen â ich habe es nur ein paarmal gesehen, kurze Küsschen mit gespitzten Mündern bei Hochzeiten oder Ãhnlichem. Aber so etwas wie das hier habe ich noch nie gesehen oder mir vorgestellt oder auch nur erträumt. Dies ist wie Musik oderTanzen, nur noch besser. Sein Mund ist leicht geöffnet, daher öffne ich meinen auch. Seine Lippen sind weich und von ihnen geht derselbe sanfte Druck aus wie von der ruhigen, eindringlichen Stimme in meinem Kopf, die immer wieder Ja sagt.
Die Wärme in mir nimmt immer noch zu, Wellen aus anschwellendem, brechendem Licht, die mir das Gefühl geben zu schweben. Seine Finger spielen mit meinen Haaren, halten meinen Nacken und meinen Hinterkopf, streichen über meine Schultern, und ohne darüber nachzudenken oder es zu wollen, bewegen sich meine Hände über seine Brust, seine heiÃe Haut, über seine Schulterblätter, die Rundung seines Kinns, das von Bartstoppeln bedeckt ist â alles seltsam und fremd und auf herrliche, wunderbare Weise neu. Mein Herz hämmert so wild, dass es schmerzt, aber es ist ein angenehmer Schmerz wie das Gefühl am ersten richtigen Herbsttag, wenn die Luft frisch ist und alle Blätter an den Rändern auflodern und der Wind ganz leicht nach Rauch riecht â wie ein Ende und gleichzeitig ein Neubeginn. Und unter meiner Hand kann ich spüren, wie sein Herz eine Antwort klopft, ein Echo meines Herzens, als würden unsere Körper miteinander sprechen.
Und plötzlich ist alles auf so lächerliche und dumme Art klar, dass mir nach Lachen zu Mute ist. Genau das hier will ich. Das ist das Einzige, was ich je wollte. Alles andere â jede einzelne Sekunde jedes einzelnen Tages, der vor diesem Moment, diesem Kuss lag â hatte nichts zu
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