Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ich aufblickte, sah ich fünf Reiter von Norden her grade auf die Stelle zukommen, an welcher ich mich befand. Sie waren so nahe, daß sie mich bereits gesehen hatten. Flucht lag nicht in meinem Sinne, obgleich mich der Rappe wohl schnell davongetragen hätte. Ich erhob mich also, saß auf, um für alles gerüstet zu sein, und nahm den Stutzen nachlässig zur Hand.
Sie kamen im Galopp herbei und parierten ihre Pferde einige Schritte vor mir. Da in ihren Mienen nicht die geringste Feindseligkeit zu finden war, konnte ich mich einstweilen beruhigen.
»Sallam aaleïkum!« grüßte mich der eine.
»Aaleïkum!« antwortete ich.
»Du hast hier diese Nacht geschlafen?«
»So ist es.«
»Hast du kein Zelt, unter welchem du dein Haupt zur Ruhe legen könntest?«
»Nein. Allah hat seine Gaben verschieden ausgeteilt. Dem einen giebt er ein Dach von Filz und dem andern den Himmel zur Decke.«
»Du aber könntest ein Zelt besitzen; hast du doch ein Pferd, welches mehr wert ist, als hundert Zelte.«
»Es ist mein einziges Besitztum.«
»Verkaufst du es?«
»Nein.«
»Du mußt zu einem Stamme gehören, der nicht weit von hier sein Lager hat.«
»Warum?«
»Dein Hengst ist frisch.«
»Und dennoch wohnt mein Stamm viele, viele Tagreisen von hier, weit, weit noch hinter den heiligen Städten im Westen.«
»Wie heißt dein Stamm?«
»Uëlad German.«
»Ja, da drüben im Moghreb sagt man meist Uëlad statt Beni oder Abu. Warum entfernst du dich so weit von deinem Lande?«
»Ich habe Mekka gesehen und will nun auch noch die Duars und Städte sehen, welche gegen Persien liegen, damit ich den Meinen viel erzählen kann, wenn ich heimkehre.«
»Wohin geht zunächst dein Weg?«
»Immer nach Aufgang der Sonne, wohin mich Allah führt.«
»So kannst du mit uns reiten.«
»Wo ist euer Ziel?«
»Oberhalb der Kernina-Klippen, wo unsere Herden am Ufer und auf den Inseln des Tigris weiden.«
Hm! Sollten diese Leute etwa gar Dschowari sein? Sie hatten mich gefragt: es war also nicht unhöflich, wenn auch ich mich erkundigte.
»Welchem Stamme gehören diese Herden?«
»Dem Stamme Abu Mohammed.«
»Sind noch andere Stämme in der Nähe?«
»Ja. Abwärts die Alabeïden, welche dem Scheik von Kernina Tribut bezahlen, und aufwärts die Dschowari.«
»Wem bezahlen diese den Tribut?«
»Man hört es, daß du aus fernen Landen kommst. Die Dschowari zahlen nicht, sondern sie nehmen sich Tribut. Es sind Diebe und Räuber, vor denen unsere Herden keinen Augenblick sicher sind. Komm mit uns, wenn du gegen sie kämpfen willst!«
»Ihr kämpft mit ihnen?«
»Ja. Wir haben uns mit den Alabeïden verbunden. Willst du Thaten thun, so kannst du es bei uns lernen. Aber warum schläfst du hier am Hügel des Löwen?«
»Ich kenne diesen Ort nicht. Ich war müde und habe mich zur Ruhe gelegt.«
»Allah kerihm, Gott ist gnädig; du bist ein Liebling Allahs, sonst hätte dich der Würger der Herden zerrissen. Kein Araber möchte hier eine Stunde ruhen, denn an diesem Felsen halten die Löwen ihre Zusammenkünfte.«
»Es giebt hier am Tigris Löwen?«
»Ja, am unteren Laufe des Stromes; weiter oben aber findest du nur den Leopard. Willst du mit uns reiten?«
»Wenn ich euer Gast sein soll.«
»Du bist es. Nimm unsere Hand und laß uns Datteln tauschen!«
Wir legten die flachen Hände ineinander, und dann bekam ich von jedem eine Dattel, die ich aß, während ich fünf andere dafür gab, welche auch aus freier Hand verzehrt wurden. Dann schlugen wir die Richtung nach Südosten ein. Einige Zeit später passierten wir den Thathar, und die ebene Gegend wurde nach und nach bergiger.
Ich lernte in meinen Begleitern fünf ehrliche Nomaden kennen, in deren Herzen kein Falsch zu finden war. Sie hatten zur Feier einer Hochzeit einen befreundeten Stamm besucht und kehrten nun zurück voll Freude über die Festlichkeiten und Gelage, denen sie beigewohnt hatten.
Das Terrain hob sich mehr und mehr, bis es sich plötzlich wieder senkte. Zur Rechten wurden in weiter Ferne die Ruinen von Alt-Tekrit sichtbar, zur Linken, auch weit entfernt, der Dschebel Kernina, und vor uns breitete sich das Thal des Tigris aus. In einer halben Stunde war der Strom erreicht. Er hatte hier die Breite von wohl einer englischen Meile, und seine Wasser wurden von einer großen, langgestreckten, grün bewachsenen Insel geteilt, auf welcher ich mehrere Zelte erblickte.
»Du gehst mit hinüber? Du wirst unserem Scheik willkommen sein!«
»Wie kommen wir hinüber?«
»Das
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