Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
deines Stammes auszurichten habe.«
»Von wem?«
»Von Zedar Ben Huli, deinem Scheik.«
»Hamdulillah! Du wirst eine frohe Botschaft bringen.«
»Ich bringe sie. Also sag’, wie viele Weideplätze ihr habt.«
»Sechs. Drei hier am Flusse hinab und drei auf den Inseln im Strome.«
»Sind alle Inseln hier euer Eigentum?«
»Alle.«
»Sind sie alle bewohnt?«
»Alle, bis auf eine.«
Es lag etwas in dem Tone dieser Antwort und in dem Gesichte des Alten, was mich aufmerksam machte; ich ließ mir aber nichts merken und fragte:
»Wo liegt diese eine?«
»Grad gegenüber von uns liegt die erste, und die ich meine, das ist die vierte, o Herr.«
Ich beschloß im stillen, auf diese Insel ein scharfes Auge zu haben, laut aber erkundigte ich mich:
»Warum ist sie nicht bewohnt?«
»Weil man sehr schwer zu ihr gelangen kann, da der Strom gefährlich ist.«
Hm! Dann hätte sie ja recht gut die Eigenschaft, als Aufenthaltsort für Gefangene zu dienen! So dachte ich und fuhr zu fragen fort:
»Wie viele Männer sind in euerm Lager?«
»Bist du wirklich ein Abgesandter des Scheik, o Herr?«
Dieses Mißtrauen vermehrte natürlich auch das meinige.
»Ich bin es. Ich habe mit ihm und mit den Scheiks der Obeïde und der Dschowari gesprochen.«
»Was bringst du für eine Botschaft?«
»Die Botschaft des Friedens.«
»Warum hat er keinen Mann seines Stammes gesandt?«
»Die Männer der Abu Hammed kommen gleich hinter mir.«
Ich wollte nicht weiter in ihn dringen und ritt also weiter, aber ganz nahe an das Ufer des Flusses, um die Inseln zu zählen. Als wir die dritte hinter uns hatten, machte der Fluß eine Krümmung, und nun lagen die Zelte des Lagers vor unsern Augen. Die ganze Ebene rings umher war von Kamelen, Rindern, Ziegen und Schafen angefüllt. Pferde sah ich nur wenige. Ebenso erblickte ich nur wenige Männer, die noch dazu alt und kraftlos, also ungefährlich waren. Wir ritten in die Zeltgasse ein.
Vor einem der Zelte stand ein junges Mädchen, welches ein dort angebundenes Pferd liebkoste. Als es mich erblickte, stieß es einen Schrei aus, sprang zu Pferde und jagte davon. Sollte ich der Flüchtigen nachreiten? Ich that es nicht; es würde auch nicht viel gefruchtet haben, denn ich wurde jetzt von allen umringt, welche im Lager anwesend waren: von Greisen, Kranken, Frauen und Mädchen. Ein Greis legte die Hand auf den Hals meines Pferdes und fragte:
»Wer bist du, Herr?«
»Ich bin ein Bote, den euch Zedar Ben Huli sendet.«
»Der Scheik! Mit welcher Botschaft sendet er dich?«
»Das werde ich euch sagen, wenn alle hier versammelt sind. Wie viele Krieger hat er hier zurückgelassen?«
»Fünfzehn junge Männer. Ajehma wird fortgeritten sein, um sie zu holen.«
»So erlaube, daß ich absteige. Du aber« – und nun wandte ich mich an Halef – »reite sofort weiter, denn die Dschowari müssen dieselbe Botschaft empfangen.«
Halef wandte sein Pferd und sprengte davon.
»Kann dein Gefährte nicht hier bleiben, um sich auszuruhen und Speise zu nehmen?« fragte der Alte.
»Er ist nicht müde und nicht hungrig, und sein Auftrag leidet kein Zögern. Wo befinden sich die jungen Krieger?«
»Bei der Insel.«
Ah, wieder diese Insel!
»Was thun sie dort?«
»Sie« – – er stockte und fuhr dann fort: – »Sie weiden die Herde.«
»Ist diese Insel weit von hier?«
»Nein. Siehe, da kommen sie bereits!«
Wirklich kam ein Trupp Bewaffneter vom Flusse her auf uns zugesprengt. Es waren die Jüngsten des Stammes, fast noch Knaben; sie und die Alten hatte man zurückgelassen. Sie hatten keine Schießgewehre, sondern nur Spieße und Keulen. Der Vorderste und zugleich auch der Ansehnlichste von ihnen erhob die Keule im Reiten und schleuderte sie nach mir, indem er rief:
»Hund, du wagst es, zu uns zu kommen?«
Ich hatte zum Glück die Büchse vorgenommen und konnte mit ihrem Kolben den Wurf parieren; aber die Lanzen sämtlicher Knaben waren auf mich gerichtet. Ich machte mir nicht sehr viel daraus, gab vielmehr meinem Rappen die Schenkel und drängte ihn hart an das Roß des Angreifers. Er allein von allen mochte das zwanzigste Jahr erreicht haben.
»Knabe, du wagst es, einen Gast deines Stammes anzugreifen?«
Mit diesen Worten riß ich ihn zu mir herüber und setzte ihn vor mir auf den Hengst. Er hing an meiner Hand mit schlaffen Gelenken wie ein Gliedermann; die Angst war ihm in den Leib gefahren.
»Nun stecht, wenn ihr jemand töten wollt!« fügte ich hinzu.
Sie hüteten sich wohl, dies zu
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