Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ich sie nicht verstehen kann. Aber ich sah, daß es eine große Versammlung gab und daß nach derselben alle Männer die Waffen untersuchten. Nachher haben sie ihre Thiere und Güter fortgeschafft, und als ich zu Scheik Mohammed hinauf auf die Plattform kam, war er beschäftigt, die alte Ladung aus seinen Pistolen zu nehmen, um sie gegen eine neue zu vertauschen. Sind dies nicht genug Zeichen, daß man eine Gefahr erwartet?«
»Du hast recht, Halef. Morgen früh beim Anbruch des Tages werden die Türken von Baadri und auch von Kaloni her über die Dschesidi herfallen.«
»Und das wissen die Dschesidi?«
»Ja.«
»Wie hoch zählen die Türken?«
»Fünfzehnhundert Mann.«
»Es werden Viele von ihnen fallen, da ihr Plan verrathen ist. Wem wirst Du helfen, Sihdi, den Türken oder den Dschesidi?«
»Ich werde gar nicht kämpfen.«
»Nicht?« erwiderte er getäuscht. »Darf ich nicht?«
»Wem willst Du helfen?«
»Den Dschesidi.«
»Ihnen, Halef? Ihnen, von denen Du glaubtest, daß sie Dich um das Paradies bringen würden?«
»O Sihdi, ich kannte sie nicht; jetzt aber liebe ich sie.«
»Aber es sind Ungläubige!«
»Hast Du selbst nicht stets Jenen geholfen, welche gut waren, ohne sie zu fragen, ob sie an Allah oder an einen andern Gott glauben?«
Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen wollen, und jetzt sah ich zu meiner großen Freude, daß er sein Herz für ein ganz und gar christliches Gefühl geöffnet hatte. Ich antwortete ihm:
»Du wirst bei mir bleiben!«
»Während die Andern kämpfen und tapfer sind?«
»Es wird sich für uns vielleicht Gelegenheit finden, noch tapferer und muthiger zu sein, als sie.«
»So bleibe ich bei Dir. Der Buluk Emini auch?«
»Auch er.«
Ich stieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Mohammed Emin.
»Hamdullillah, Preis sei Gott, daß Du kommst!« sagte er. »Ich habe mich nach Dir gesehnt wie das Gras nach dem Thau der Nacht.«
»Du bist stets hier oben geblieben?«
»Stets. Es soll mich Niemand erkennen, weil ich sonst vielleicht verrathen werden möchte. Was hast Du Neues erfahren?«
Ich theilte ihm Alles mit. Als ich geendet hatte, deutete er auf seine Waffen, welche vor ihm lagen.
»Wir werden sie empfangen!«
»Du wirst dieser Waffen nicht bedürfen.«
»Nicht? Soll ich mich und unsere Freunde nicht vertheidigen?«
»Sie sind stark genug. Willst Du vielleicht in die Hände der Türken, denen Du kaum entgangen bist, fallen, oder soll Dich eine Kugel, ein Messerstich treffen, damit Dein Sohn noch länger in der Gefangenschaft von Amadijah schmachtet?«
»Emir, Du sprichst wie ein kluger, aber nicht wie ein tapferer Mann!«
»Scheik, Du weißt, daß ich mich vor keinem Feinde fürchte; es ist nicht die Angst, welche aus mir spricht. Ali Bey hat von uns verlangt, daß wir uns vor dem Kampfe hüten sollen. Er hegt übrigens die Überzeugung, daß es gar nicht zum Kampfe kommen werde, und ich bin ganz derselben Meinung wie er.«
»Du denkst, die Türken ergeben sich ohne Widerstand?«
»Wenn sie es nicht thun, so werden sie zusammengeschossen.«
»Die Offiziere der Türken taugen nichts, aber die Soldaten sind tapfer. Sie werden die Höhen stürmen und sich befreien.«
»Fünfzehnhundert gegen vielleicht sechstausend Mann?«
»Wenn es gelingt, sie zu umzingeln!«
»Es wird gelingen.«
»So müssen wir also mit den Frauen nach dem Thale Idiz gehen?«
»Du, ja.«
»Und Du?«
»Ich werde hier zurückbleiben.«
»Allah kerihm! Wozu? Das würde Dein Tod sein!«
»Das glaube ich nicht. Ich bin im Giölgeda padischahnün, besitze die Empfehlungen des Mutessarif und habe einen Buluk Emini bei mir, dessen Anwesenheit schon genügend wäre, mich zu schützen.«
»Aber was willst Du hier thun?«
»Unheil vermeiden, wenn es möglich ist.«
»Weiß Ali Bey davon?«
»Nein.«
»Oder der Mir Scheik Khan?«
»Auch nicht. Sie erfahren es noch immer zur rechten Zeit.«
Ich hatte wirklich große Mühe, den Scheik zur Billigung meines Vorhabens zu überreden. Endlich aber gelang es mir.
»Allah il Allah! Die Wege des Menschen sind im Buche vorgeschrieben,« meinte er; »ich will Dich nicht bewegen, von diesem Vorhaben abzulassen, aber ich werde hier bei Dir bleiben!«
»Du? Das geht nicht!«
»Warum?«
»Sie dürfen Dich nicht finden.«
»Dich auch nicht.«
»Ich habe Dir bereits auseinandergesetzt, daß ich keine Gefahr laufe; Dich aber, wenn Du erkannt wirst, erwartet ein anderes Loos.«
»Das Ende des Menschen steht im Buche verzeichnet.
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