Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Diese Takelung erforderte auf diesem an Stürmen, Böen, Riffen und Untiefen reichen Meere einen Kapitän, der seine Sache aus dem Grund verstand und ebensoviel Mut wie Kaltblütigkeit besitzen mußte. Das Fahrzeug war um das Dreifache bemannt, als notwendig gewesen wäre, und hatte auf dem Vorderdecke eine Kanone, welche aber so von Kisten, Ballen und Fässern maskiert war, daß sie von einem andern Schiffe aus gar nicht bemerkt werden konnte. Die Mannschaft bestand aus lauter wettergebräunten Männern, von denen jeder seinen Gürtel mit Schuß-, Hieb- und Stichwaffen gespickt hatte. Auf dem Hinterdecke saß ein Mann in roten Hosen, grünem Turban und blauem Kaftan. Seine lange Weste war reich mit Gold gestickt, und in dem Bassora-Shawl, der ihm als Gürtel diente, funkelten kostbare Waffen. Ich erkannte in ihm sofort den Derwisch. Neben ihm stand der Araber, welchen ich auf dem Sambuk zu Boden geschleudert hatte. Ich wurde vor die beiden geführt. Der Araber musterte mich mit rachgierigem, der Derwisch mit verächtlichem Blick.
»Weißt du, wer ich bin?« fragte mich der Derwisch.
»Nein, aber ich vermute es.«
»Nun, wer bin ich?«
»Du bist Abu Seïf.«
»Ich bin es. Kniee nieder vor mir, Giaur!«
»Was fällt dir ein! Steht nicht im Kuran geschrieben, daß man nur Allah allein anbeten soll?«
»Das gilt nicht für dich, denn du bist ein Ungläubiger. Ich befehle dir, niederzuknien, um deine Demut zu bezeugen.«
»Noch weiß ich nicht, ob du Ehrfurcht verdienst, und selbst wenn ich es erfahren hätte, würde ich dir meine Achtung auf eine andere Weise bezeigen.«
»Giaur, du kniest, oder ich schlage dir den Kopf ab!«
Er hatte sich erhoben und faßte seinen krummen Säbel. Ich trat noch einen Schritt näher an ihn heran.
»Meinen Kopf? Bist du wirklich Abu Seïf oder bist du ein Henker?«
»Ich bin Abu Seïf und halte mein Wort. Nieder mit dir, oder ich lege dir den Kopf vor die Füße!«
»Wahre deinen eigenen Kopf!«
»Giaur!«
»Korkakdschi!«
»Was!« zischte er. »Einen Korkakdschi, einen Feigling nennst du mich!«
»Warum griffst du den Sambuk des Nachts an? Warum hülltest du deine Dschasuslerin Weiberkleider? Warum zeigst du hier Mut, wo du von den Deinen umgeben und beschützt wirst? Ständest du allein mir gegenüber, so würdest du anders mit mir reden!«
Spione.
»Ich bin Abu Seïf, der Vater des Säbels, und zehn Männer deiner Sorte vermöchten nichts gegen meine Klinge!«
»Aferihn – brav so! So muß man reden, wenn man sich zu handeln fürchtet.«
»Zu handeln? Sind diese Zehn zur Stelle? Wäre dies der Fall, so wollte ich dir im Augenblick beweisen, daß ich die Wahrheit gesagt habe!«
»Die Zehn sind nicht nötig; es genügt Einer.«
»Wolltest du vielleicht dieser Eine sein?«
»Pah, du würdest es nicht erlauben!«
»Warum nicht?«
»Weil du dich fürchtest. Du tötest mit dem Munde, nicht aber mit dem Säbel.«
Ich hatte einen verstärkten Ausfall seines Zornes auf diese Worte erwartet, sah mich aber getäuscht. Er verbarg diesen Grimm hinter einer kalten, tödlichen Ruhe, nahm seinem Nachbar den Säbel vom Gürtel und reichte ihn mir.
»Hier nimm und verteidige dich! Aber ich sage dir, selbst wenn du die Fertigkeit Aframs und die Stärke Kelads hättest, so würdest du beim dritten Hiebe eine Leiche sein.«
Ich nahm den Säbel.
Es war eine eigentümliche Situation, in der ich mich befand. Der »Vater des Säbels« mußte nach orientalischen Begriffen ein ausgezeichneter Fechter sein, aber ich wußte, daß der Orientale durchschnittlich ein ebenso schlechter Fechter als schlechter Schütze ist. Mit der Fertigkeit Aframs und der Stärke Kelads war es wohl nicht gar so weit her. Ich hatte noch mit keinem Orientalen nach den Regeln der Fechtkunst die Klinge gekreuzt, und wenn mir auch der dargereichte, an der »halben und ganzen Schwere,« also an der »Parierung« dünne, und an der »halben und ganzen Schwäche« so starke und schwere Säbel ziemlich ungewohnt war, so hatte ich dennoch große Lust, dem »Vater des Säbels« die Überlegenheit der europäischen Waffenführung zu beweisen.
Die ganze Bemannung des Schiffes war uns nahe getreten, und in allen Mienen spiegelte sich die Überzeugung, daß ich wirklich bei dem dritten Hiebe des Abu Seïf ein toter Mann sein werde.
Er drang so schnell, wild und regellos auf mich ein, daß ich keinen Moment Zeit hatte, Position zu nehmen. Ich parierte seine unreine Winkelquart und versuchte, mir sofort eine Blöße zu
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