Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
zweifelhafter Moralität nicht selten recht gute und brauchbare Menschen hervorgehen.
Ein anderes Hinderniß ist die Unlust gewisser Eltern, sich eingehend mit der mühevollen Erziehung ihrer Kinder zu beschäftigen oder auch der Mangel an der nöthigen Zeit hierzu. In dieser Beziehung sind die Kindergärten und alle diejenigen Einrichtungen, welche auf die Wartung vernachlässigter Kinder hinzielen, von tiefgehendem Einflusse. Es werden durch sie eine reiche Anzahl von Kindern, welche einen großen Theil des Tages sich selbst überlassen blieben oder den Händen von unfähigen Personen anvertraut wären, unter eine freundliche und liebevolle Aufsicht und Wartung gebracht, welche nicht nur die Pflege untüchtiger Eltern ersetzt, sondern vielleicht noch größere und bessere Erfolge aufzuweisen hat, als diese haben würde.
Die Erziehung besteht in der absichtlichen und zweckentsprechenden Einwirkung Erwachsener auf die Kinder, um die Anlagen und Befähigungen derselben durch naturgemäße, harmonische Entwickelung dahin auszubilden, daß sie ihre Vervollkommnung dann selbstständig fortzusetzen vermögen. Sie kann eine allgemeine sein und hat dann den Zweck, den Menschen eben als Menschen auszubilden, oder eine besondere und nimmt dann auf die Einzelverhältnisse Rücksicht, indem sie den Zögling mit Berücksichtigung seines Geschlechtes, seines späteren Berufes etc. behandelt.
Die Erziehungsidee bildet sich zu gleicher Zeit mit dem Familienleben aus und ist um so besser und reiner, je höher die Stufe ist, auf welcher die Cultur eines Volkes sich befindet. Ueberhaupt stehen Erziehung und Cultur in so innigem Zusammenhange, daß es eine der größten Verpflichtungen des Staates ist, auf ein gute, naturgemäße Heranbildung seiner Bürger zu sehen und ihnen die nöthigen Mittel dazu zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel werden geboten ganz besonders in den Institutionen der Kirche und Schule.
Jahrhunderte lang haben sich Staat und Kirche einander als die erbittertsten Feinde gegenübergestanden, mit Aufbietung aller Kräfte sich gegenseitig bekämpft, und ihre Angehörigen haben natürlich den ungeheuern Schaden zu tragen gehabt, welchen dieser Conflict in den mannigfalltigsten Beziehungen hervorrufen mußte. Noch am heutigen Tage fahren die vernichtenden Geschosse der Gegner herüber und hinüber, aber es ist mit vollständiger Gewißheit vorauszusehen, daß die Kirche endlich in die Stellung zurückgewiesen wird, welche ihr von Gottes- und Rechtswegen einzig und allein zukommt.
Die Religion ist eine Macht, welche ihren Einfluß vorzugsweise auf das Gemüthsleben des Menschen äußert. Diese Macht hat die heilige und hochwichtige Aufgabe, die Menschheit, entfernt von allem äußeren Zwange, unter dem Scepter der Liebe zu vereinigen, und in dieser Aufgabe ist ebensowohl ihre Stellung zum Staate als auch die Art und Weise ihres Wirkens genau bezeichnet und begrenzt. Das Dogma und jede andere äußerliche Schranke wird einst fallen, der Glaube wird seine Zelte im Innern der Herzen aufschlagen und der Priester nur das sein, was er allein nur zu sein hat: ein Verkündiger und Lehrer der göttlichen und allgemeinen Menschenliebe.
Tiefer eingreifend in das innere Leben des Menschen ist die Thätigkeit der Schule. Sie hat sich in Beziehung auf die Entwickelung der Intelligenz an die Stelle der Eltern zu stellen und damit eben auch nur die eine Aufgabe zu lösen, welche mit dem Worte Liebe bezeichnet wird; denn eine Intelligenz ohne Liebe ist nicht denkbar, und wenn man die Geschichte der Schule von dem Anfange derselben bis auf ihre gegenwärtigen Verhältnisse verfolgt, so wird man sofort zu der Ueberzeugung geführt, daß sich die ganze Entwickelung des Unterrichtswesens in gerader Richtung auf die Lehre zuspitzt: »Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen und deinen Nächsten als dich selbst!«
Oeffentliche Anstalten zu einer geordneten Jugendbildung waren erst dann eine Möglichkeit, als sich die Bildung abgeschlossener Völkerschaften vollzogen hatte. In den ältesten Zeiten war das Volk von dem Unterrichte und der wissenschaftlichen Bildung ausgeschlossen, wie z.B. in Indien, China, bei den Babyloniern, Chaldäern, Medern und Persern, ebenso auch bei den Egyptern. Auch bei den Juden finden wir in den älteren Zeiten Prophetenschulen, in welche nur Bevorzugte Zutritt und Aufnahme fanden; eigentliche Kinderschulen aber gab es bei ihnen erst nach der babylonischen Gefangenschaft. Trotz der
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